REICHSARCHIV BAND 34, VON SEITE  7 BIS 19

Ein Dankeschön an unseren Freund Herrn Erich Fritsch aus Österreich, der uns diesen Text übermittelt hat.

Falls jemand anders uns auch helfen will, entweder mit Übersetzungen oder Übermittlung von Dokumenten, welche die 2. Marneschlacht betreffen, so ist er herzlich willkommen. Vielen Dank im voraus.

1. Teil - Seite 7 bis Seite 19

Schlachten des Weltkrieges, In Einzeldarstellungen bearbeitet und herausgegeben im Auftrage und unter Mitwirkung des Reichsarchives

Band 34

Der letzte deutsche Angriff, Reims 1918

mit Seitenangabe und Seitenüberschrift des Orginals

Der Angriffsentschluß. 7

Die deutsche Offensive welche am 27. Mai 1918 an der Frontstrecke zwischen dem Ailette-Bach und der Aisne begonnen und sich allmählich nach beiden Seiten hin bis zu den Abschnitten von Montdidier und Reims ausgedehnt hatte, war am 14. Juni endgültig eingestellt worden. Wieder stand die Oberste Heeresleitung vor entscheidenden Fragen hinsichtlich der Weiterführung des Krieges. Ihre erste, wichtigste war:For t s e tz u n g d e s An g r i ffs oder Ü b er g ang zur Verteidigung ?

Für die Beantwortung mußte in erster Linie der Zustand des deutschen Heeres maßgebend sein. Die Angriffe der vergangenen Monate hatten naturgemäß erhebliche Opfer gekostet, sie beliefen sich auf insgesamt etwa 460 000 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Diese Zahl war an sich sehr hoch, sie wurde aber nicht nur von der Zahl der Verluste des Gegners ganz erheblich übertroffen, sondern war auch wesentlich geringer, als - nach den Erfahrungen der Jahre 1916 und 1917 - die Höhe der Verluste in gleich langen und gleich umfangreichen Abwehrschlachten gewesen wäre. Immerhin hatte die große Zahl an Blutopfern und Ausfällen an Gefangenen die deutsche Armee um so härter getroffen, als die Ersatzquellen immer spärlicher flossen. Bereits im Jahre 1917 hatten die Etatstärken bei den verschiedenen Truppeneinheiten herabgesetzt werden müssen und nach den schweren Verlusten des Frühjahrs 1918 war es trotz aller in dieser Hinsicht ergriffenen, zum Teil sogar auf Kosten der Kriegsindustrie durchgeführten Maßnahmen nicht möglich gewesen, sie selbst auf diesen

8 Der Angriffsentschluß

verringerten Zahlen zu halten. Die Feldstärken der Bataillone an der Westfront betrugen zurzeit etwa 720 Mann (ausschließlich M.G.K.)*), es gab aber auch zahlreiche Divisionen, bei denen diese Zahl nicht mehr voll erreicht wurde. Immerhin schien es durchaus noch möglich, Bataillone dieser Stärke zum Angriff vorzuführen, besonders im Hinblick auf die erhebliche Verstärkung ihrer Stoßkraft durch die zahlreichen Hilfswaffen, über die sie in ihren leichten und schweren Maschinengewehren, Granat- und Minenwerfern, Infanteriegeschützen usw. verfügten, sowie auf die Unterstützung durch eine außerordentlich starke, mit reichlicher Munition ausgestattete Artillerie. Übrigens waren auch die Feldstärken der französischen und englischen Bataillone nicht wesentlich höher.

Was die Stimmung der Truppe anbelangte, so war sich die Oberste Heeresleitung durchaus darüber im klaren, daß es damit nicht zum besten aussah. Zu vieles wirkte auf den einzelnen Mann belastend ein:

körperliche Anstrengungen bei teilweise recht knapper und eintöniger Verpflegung, Enttäuschung darüber, daß die Angriffe der letzten Monate die erwartete Kriegsentscheidung nicht gebracht hatten, die Nöte der Heimat, welche ihm aus Briefen, Zeitungen, Urlauber-berichten entgegenklangen. Hinzu kam die nicht gering zu veranschlagende Wirkung der feindlichen Propaganda, die mit außerordentlichem Geschick überall dort einsetzte, wo Sorgen, Entbehrungen und Verärgerung das Feld bereits vorbereitet und die Gemüter aufnahmefähig gemacht hatten. Hier und dort gab es schon Zweifel, ob ein glücklicher Ausgang des Krieges überhaupt noch möglich oder ob

*) Die F e 1 d stärken waren aber keineswegs die tatsächlichen G r a b e n -bzw. K a m p f stärken, diese lagen vielmehr um mindestens 250 unter den Feldstärken. Als Beispiel seien hier die Abkommandierungen usw. ausgeführt, die ein Bataillon des Füs.Regts. 34 hatte und welche durchaus nicht außergewöhnlich zahlreich waren:

Nachrichtenzug 32 Mann

Minenwerferzug 36 ,,

4 Feldwebel, 4 Schreiber, 1 Tambour, 5 Waffenmeiftergeh., 5 San.-

Uffze., 16 Krankenträger, 8 Köche, 8 Handwerker, 2 Train-Uffze.

31 Train-Soldaten 84 ,,

Kommandierte (im Regt. 40, außerhalb 30 Mann) 70 ,,

Urlauber (5%) 36 ,,

Revierkranke, Arrest 12 ,,

Zus. 270 Mann

Gründe für eine Fortsetzung der angriffsweisen Kriegsführung. 9

nicht vielmehr eine Fortsetzung der Kämpfe und das Bringen neuer Opfer ganz zwecklos waren. Wenn auch schließlich nach Überzeugung der O.H.L. das Vertrauen zur Führung und die Liebe zum Vaterland diese Zweifel bei der Masse des Heeres vorläufig noch besiegten, so waren doch die Nerven aufs äußerste gespannt und die seelische Belastung ungeheuer groß. Ein Überspannen des Bogens mußte hier zu einer Katastrophe führen.

Nun hatten aber schon die letzten Phasen der Abwehrkämpfe des Jahres 1917 gezeigt, daß die Truppe den ungeheuren Eindrücken und gewaltigen Nervenanforderungen, welche die Materiatschlacht an den Verteidiger stellte, nicht mehr in dem Maße gewachsen war, wie es vordem die Regel gebildet hatte. Es stand zu befürchten, daß sich diese Nervenkrise inzwischen ganz erheblich verstärkt hatte, und es schien unter diefen Umständen fast ein Wagnis, die Truppe der Anspannung einer Verteidigungsschlacht großen Stils auszusetzen. Wie auf so vielen anderen Gebieten, hatte auch hier der Krieg eine eigenartige Wandlung gezeltigt: war früher die V e r t e i d i g u n g die Blut und Nerven schonende Kampfform gewesen, so hatte sich jetzt der A n g r i ff als diesen Absichten eher entgegenkommend herausgebildet; Voraussetzung dabei war allerdings die Unterstützung des Angreifers durch eine überwältigende Artillerie, welche alle Widerstände beseitigte und jedes Hemmnis, das sich der Angriffsinfanterie bot, wegfegte. Aber auch andere wesentliche Argumente ließen eine Fortsetzung der angriffsweisen Kriegsführung zweckmäßig erscheinen.

Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß sowohl Österreich-Ungarn, wie auch Bulgarien und die Türkei stark erschöpft und nahezu am Ende ihrer Kräfte waren. Mochten die Gründe hierfür auch bei jedem der drei Länder verschieden sein, sicher war, daß alle drei nur noch eine sehr begrenzte Zeit aushalten konnten und daß daher die Entscheidung, die nach Lage der Dinge nur von dem deutschen Heer erfochten werden konnte, b a l d fallen mußte. Eine solche b a 1 d i g e Entscheidung war nach der Überzeugung der Obersten Heeresleitung aber eben nur durch eine Fortführung des eigenen Angriffs zu erzwingen.

Ein weiterer Grund für eine baldige Fortsetzung der Offensive kam hinzu: Die Zahl der amerikanischen Truppen in Frankreich begann seit einiger Zelt stark zu wachsen. Nach den der O.H.L. vorliegenden Nachrichten waren im Mai und während der ersten Junihälfte etwa 15 Divisionen der Vereinigten Staaten nach Frankreich gesandt worden, so daß

10 Der Angriffsentschluß.

sich jetzt dort insgesamt ungefähr 20 befanden. Damit war die Überlegenheit, welche die Deutschen im März 1918 der Divisionszahl nach an der Westfront besessen hatten, bereits ausgeglichen; von jetzt ab mußte sich das Kräfteverhältnis dort von Monat zu Monat in steigendem Umfang zuungunsten der Deutschen verschieben. Waren auch die amerikanischen Divisionen im Hinblick auf ihre mangelnde Kriegserfahrung noch nicht als vollwertig anzusprechen, - rein zahlenmäßig waren sie mit ihren zwölf starken Bataillonen den deutschen Divisionen, die nur noch aus neun Bataillonen mit wesentlich geringerer Kopfstärke bestanden, erheblich überlegen! - so konnten sie doch in weitem Umfange französische und englische Verbände an ruhigen Frontabschnitten frei machen. Die Entente mußte daher schon verhältnismäßig bald über eine große Zahl kampfkräftiger Reserven verfügen, die sie ihrerseits, unterstützt durch das ihr zu Gebote stehende ungeheure Material, zu entscheidenden Stößen ansetzen würde. Dem deutschen Heer standen dann Wiederholungen jener gewaltigen Materialschlachten von 1916 und 1917 bevor, denen es - hier führte die Betrachtung der O.H.L. wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück - nicht mehr unbedingt gewachsen war.

Von besonderer Bedeutung für die Frage der Fortführung der Operationen war schließlich die Lage, die sich aus der Mai/Juni-Offensive*) ergeben hatte. Der ,,Blücher"-,,Görz"-Angriff, dem das ,,York"und ,,Gneisenau"-Unternehmen gefolgt waren, hatte wohl glänzende taktische Erfolge gebracht, eine Wirkung auf die Gesamtlage an der Westfront war ihm aber versagt geblieben. Zu einem wirklichen Durch-bruch durch die feindliche Front, geschweige denn zu deren Aufrollen nach den Seiten hin, war es nicht gekommen. Aber auch die Hoffnung, durch diese Offensive eine so starke Entlastung der deutschen Front in Flandern (Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht) zu erreichen, daß dort der seit langem geplante, entscheidungsuchende Angriff trotz der schwierigen taktischen Verhältnisse Aussicht auf Erfolg haben mußte, war nicht oder doch jedenfalls nur teilweise in Erfüllung gegangen; die Heeresleitung der Entente hatte nur einige der in Flandern stehenden französischen Divisionen an die Angriffsfront zwischen Noyon und Reims gezogen, eine grundlegende Änderung der Stärkeverhältnisse war vor der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht nicht eingetreten. Statt dessen

*) Vgl. die Bände 32 und 33 der Schriftfolge ,,Schlachten des Weltkrieges" (,,Deutsche Siege 1918" und ,,Wachsende Schwierigkeiten").

Ungünstige Lage bei Abschluß der Mai/Juni-Offensive 11

befanden sich jetzt die 7. sowie der rechte Flügel der 1. Armee in einer außerordentlich ungünstigen Lage. Ihre Stellung zwischen der Aisne (westlich von Soissons) und Reims bildete einen bastionartig zur Marne hin vorspringenden, fast dreiseitig umklammerten Bogen. Die weit in das Hintergelände reichende feindliche Waffenwirkung zehrte an den Kräften und Nerven der hier eingesetzten Verbände. Besonders ungünstig waren die Nachschubverhältnise. Für die Versorgung der Truppe mit Verpflegung, Munition, Material und allen sonstigen Kampfbedürfnissen stand im wesentlichen nur eine einzige Bahnlinie (Laon-Soissons) zur Verfügung, die noch dazu in ihrem derzeitigen Zustand wenig leistungsfähig war und so dicht hinter der Front lag, daß sie jederzeit vom Fernfeuer des Gegners - von Luftangriffen gar nicht zu reden! - gefaßt werden konnte. Diese Schwierigkeiten waren natürlich schon während der ,,Blücher"- usw. Offensive selbst erkannt worden und zutage getreten, insbesondere hatte der Feldeisenbahnchef, Oberst v. 0 l d e r s h a u s e n , bei der O.H.L. immer wieder auf eine baldige Inbesitznahme von Reims gedrungen. Diese war jedoch mit den angesetzten Mitteln nicht geglückt; im übrigen hatte die O.H.L. auch den Hauptdruck des Angriffs auf den Westflügel gelegt und gehofft, daß der Stoß gegen Compiegne und Villers-Cotterets weiter Boden gewinnen werde, woraus sich naturgemäß eine wesentliche Verbesserung der Kampfbedingungen zwischen Montdidier und Reims ergeben haben würde. Nachdem aber diese Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen war, standen jetzt die beiden Eckpfeiler der feindlichen Front, Villers-Cotterêts und Reims, unerschüttert, und auch südlich der Marne hatte sich eine festgefügte Front des Gegners gebildet.

So ungünftig die Verhältnisse hier für die Deutschen lagen, so günstig standen sie für den Feind. Die Möglichkeit konzentrischen Wirkens gegen die außerordentlich empfindlichen Flanken des vorspringenden Bogens, das vorzügliche Bahn- und Straßennetz, die dichten Waldungen, welche ein gedecktes Zusammenziehen und Bereitstellen großer Truppenmengen begünstigten, forderten den Gegner zu einem umfassenden Angriff geradezu heraus. Die damals gefallene Äußerung eines Offiziers in leitender Stellung ,,Der Feind, der uns so stehen läßt, verdient gehängt zu werden" bezeichnet vielleicht am treffendsten die von allen Stellen empfundene Bedenklichkeit der Lage.

Auf die Dauer war dieser Zustand völlig unhaltbar. Es gab nur zwei Lösungen: entweder mußte hier ein neuer Angriff Luft schaffen und die unerträglichen Daseinsbedingungen von Grund auf ändern,

12 Der Angriffsentschluß

oder aber - man mußte den zur Marne vorspringenden Bogen auf-geben und die deutsche Linie zurücknehmen. Im Rahmen der Gesamtlage kam eine Lösung in der letztgenannten Form für die O.H.L. nicht in Frage. Um so mehr mußte die Notwendigkeit, die unmögliche Lage zwischen Aisne und Reims nach vorwärts zu verbessern bei der Entscheidung über die weitere Kriegführung ins Gewicht fallen.

Tatsächlich zog die deutsche Führung aus allen diesen Erwägungen den Schluß, auf dem im März begonnenen Wege fortzuschreiten und die Kriegsentscheidung durch eine Fortsetzung des Angriffs herbeizuführen.

Es war unausbleiblich, daß auch die Frage des O r t e s und der Z e i t des zu führenden Angriffs von den Verhältnissen bei der 7. Armee wesentlich beeinflußt wurde.

Die für einen entscheidenden Erfolg geeignetste Stelle der Westfront lag nach Überzeugung der O.H.L. nach wie vor in Flandern. Gelang es dort, die englische Front in einem neuen Schlage zu durchbrechen und die Kanalküste zu gewinnen, so konnte mit dem militärischen Zusammenbruch und entsprechender Friedensgeneigtheit des Inselreiches und damit mit der Möglichkeit einer günstigen Kriegsentscheidung überhaupt gerechnet werden. Mit den Vorbereitungen für diese entscheidende Offensive, die von der 4. und 6. Armee ausgeführt werden sollten, hatte die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schon unmittelbar nach dem Abbruch der Lys-Schlacht begonnen. Die Angriffsarbeiten, welche unter dem Deckwort ,,Hagen" liefen, waren verhältnismäßig weit fortgeschritten. Der Termin der Ausführung, der von der O.H.L. in einem Befehl vom 6. Mai für Mitte Juni festgesetzt gewesen war, hatte allerdings verschoben werden müssen, als Anfang dieses Monats einige der hinter der Front der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht für ,,Hagen" bereitgestellten 32 ,,Mob."-Divisionen*) von der O.H.L. der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz zur Verwendung bei der ,,Gneisenau"-Offensive überwiesen worden waren und überhaupt dieses Unternehmen einen nach Raum, Zeit und Zahl der eingesetzten Kräfte viel größeren Umfang angenommen hatte, als ursprünglich beabsichtigt gewesen war.

Aber auch jetzt hielt die O.H.L. den Zeitpunkt für den ,,Hagen"Angriff noch nicht für gekommen. Noch immer stand, wie schon erwähnt, ein großer Teil der feindlichen Heeresreserven in Flandern oder doch

*) So wurden die für den Angriff besonders ausgerüsteten und ausgebildeten Divisionen bezeichnet.

Die Frage des Ortes und der Zeit des Angriffs. 13

jedenfalls so, daß er in kürzester Zeit zur Abwehr eines deutschen Stoßes dort eingesetzt werden konnte.

Solange in dieser Hinsicht nicht eine wesentliche Änderung eingetreten war, blieben die Erfolgsaussichten des nach Lage der taktischen Verhältnisse ohnehin sehr schwierigen Angriffs recht gering. Es schien somit unbedingt erforderlich, der ,,Hagen"-Offensive noch einen weiteren Ablenkungsangriff vorausgehen zu lassen. Was lag näher, als diesen Ablenkungsstoß dort auszuführen, wo ohnehin ein neuer Angriff erforderlich war, um die für die Deutschen unhaltbare Lage günstiger zu gestalten, d. h. zwischen der Aisne und Reims? Der Entschluß, hier offensiv zu werden, war nahezu zwangsläufig.

Schon in der ersten Hälfte des Juni war im Rahmen der damals noch nicht abgeschlossenen ,,Blücher"-,,Görz"-Offensive der Plan aufgetaucht, über die Marne vorzubrechen, die französische Front in Richtung auf Epernay hin aufzurollen und damit Reims zu Fall zu bringen. Aber eine so weitreichende Operation hatte man damals nur unternehmen zu können geglaubt, wenn man von dem Angriff in Flandern zunächst absah und wenigstens einen erheblichen Teil der dort stehenden Kräfte bei Reims einsetzte. Damit wäre aber die ganze Grundlage des bestehenden Operationsplanes verschoben worden, und hierzu hatte sich die O.H.L. nicht entschließen können. (Allerdings waren unmittelbar danach doch noch einige der für den ,,Hagen"-Angriff bereitgestellten Divisionen der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz zugeführt worden, um dort bei der ,,Gneisenau"-Offensive Verwendung zu finden, was ein Herausschieben von ,,Hagen" zur Folge gehabt hatte (s. o.).)

Jetzt griff die O.H.L. ihren damaligen Plan wieder auf. Er wurde dahin erweitert, daß einmal der Angriff beiderseits der Marne geführt, sodann aber von einem gleichzeitigen Stoß aus der Gegend östlich von Reims gegen Bouzy begleitet werden sollte. Die Kühnheit dieses Angriffsentschlusses, die besonders darin lag, daß ein bedeutendes Flußhindernis in unmittelbarster Waffenwirkung des Feindes überwunden werden mußte, glaubte man unter der Voraussetzung einer Überraschung des Gegners auf sich nehmen zu können. Die O.H.L. rechnete auf das Gelingen des Angriffs, g e r a d e weil e r so unerhört verwegen erschien. Hatten die Angriffsdivisionen dann erst einmal auf dem Südufer der Marne festen Fuß gefaßt, so glaubte man den überraschten und wohl verhältnismäßig schwachen Gegner rasch nach Süden werfen und damit den Weg nach Epernay öffnen zu können.

14 Der Angriffsentschluß

Es war deutscherseits bekannt, daß starke feindliche Reserven bei Compiegne und Villers-Cotterets standen*). Die O.H.L. war der Ansicht, daß diese Kräfte in erster Linie dem Schutz von Paris dienen sollten, also eine rein defensive Aufgabe hatten. Sie rechnete bestimmt damit, daß der Gegner diese Divisionen einem deutschen Angriff südlich der Marne entgegenwerfen würde. Man hoffte aber, die deutschen Angriffstruppen würden Epernay erreichen und Reims zu Fall bringen, bevor jene feindlichen Kräfte überhaupt zum Einsatz gelangten. Jedenfalls hing das Gelingen der neuen Operation im höchsten Maße davon ab, daß nicht nur die geplante Überraschung glückte, sondern daß auch die Angriffsdivisionen - wenigstens in den ersten Tagen - ähnlich rasch vorwärts kamen, wie es beim Angriff auf den Chemin des Dames der Fall gewesen war.

Die am 14. Juni von der O.H.L. ausgegebenen Richtlinien für die Weiterführung der Operationen besagten, daß die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht ,,Hagen" auszuführen hatte, Angriffsbeginn etwa am 20. Juli. Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz sollte bei der 18. und 7. Armee Angriffsvorbereitungen auf der Front von Moreuil bis an die Marne treffen, während von der 7. Armee die unter der Bezeichnung ,,Marneschutz" angeordneten Angriffsmaßnahmen, d. h. der Angriff beiderseits des Flusses, von der 1. Armee der Angriff östlich Reims unter ,,Reims" vorzubereiten waren. Die Stöße der 7. und 1. Armee sollten etwa am 10. Juli beginnen. Schließlich bestimmten die Richtlinien noch, daß die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht einen Angriff ,,Wilhelm" aus der Front Ayette-Albert vorzubereiten hatte. Von diesen Unternehmungen kam der ,,Wilhelm"-Angriff praktisch kaum in Betracht, er war in erster Linie als Täuschungsmaßnahme anzusprechen. Auch der Angriff Moreuil-Marne stand erst in Zulunft in Frage. Dagegen waren bezüglich des ,,Hagen"- und ,,Reims"-,,Marneschutz"-Angriffs nunmehr die Unterlagen für Ort und Zeit geschaffen.

Schließlich blieb für die O.H.L. noch das ,,Wie" der neuen Offensive zu erwägen. Sollte man bei dem in den bisherigen Angriffsschlachten mit gutem Erfolg angewandten Verfahren - Überraschungsangriff nach kurzer, zusammengefaßter Artillerievorbereitung gegen die vorderste feindliche Stellung und Ausschaltung der feindlichen Artillerie durch Vergasung - bleiben, oder schienen hier wesentliche Änderungen erforderlich? Es war klar, daß sich der Gegner immer mehr auf die

*) Vgl. S. 30.

Der Angriffsbefehl der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz.

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deutsche Angriffsmethode eingestellt und ihr zu begegnen gewußt hatte. Schon die ,,Gneisenau"-Offensive war doch auf recht erheblichen Wider-stand gestoßen, allerdings hatte hier eine wirkliche Überraschung des Gegners gefehlt. Die O.H.L. glaubte indessen nicht, hier grundsätzlich neue Wege einschlagen zu sollen. Daß, wie nach Abschluß jeder Offensive, so auch jetzt, die Erfahrungen, die man bei den Angriffen des Mai und Juni gemacht hatte, ausgenutzt und von der Truppe aufgenommen wurden, war selbstverständlich.

Auf Grund der Vorschläge, welche das Kommando der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz sowie die Armee-Oberkommandos 7, 1 und-insbesondere! - 3 in den nächsten Tagen machten, sah sich die O.H.L. zu einer abermaligen Erweiterung des Angriffsraumes nach Osten hin veranlaßt; dadurch wurde auch der größere Teil der

3. Armee in das Unternehmen einbezogen. Seine endgültige Gestalt fand der Angriffsplan nach einer Besprechung, die der Erste Generalquartiermeister, General L u d e n d o r f f, am 18. Juni in Rethel beim A.O.K. 1 über die Einzelheiten der Offensive hatte.

Mit der Leitung des gesamten Unternehmens wurde das Kommando der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz beauftragt, welches die Aufgabe der drei beteiligten Armeen am 21. Juni folgendermaßen

festlegte:

,,7. Armee durchbricht in überraschendem Stoße die feindlichen Stellungen zwischen Gland und Chambrecy und setzt sich in Besitz der Übergänge von Epernay und der Höhen südöstlich der Stadt. Die rechte Flanke ist durch Vorstoß bis in die allgemeine Linie Gland-St. Eugène-Orbais-Höhen südlich Brugny zu sichern. Zum Schutze der linken Flanke des Angriffs hat der linke Armeeflügel nördlich der Marne soweit wie möglich, wenigstens bis in die Linie Manoy-Chouilly-Ay-Dizy Magenta-Hautvillers-Nanteuil - la Fosse-Chaumuzy-Chambrecy, vorzudrücken.

1. Armee durchbricht die feindlichen Stellungen zwischen Prunay und Aube-rive und geht unter Sicherung gegen die Reimser Berge zwischen Condé und Châlons über die Marne. Durch Vorstoß über die Linie Bouzy-Condé in Richtung Epernay ist Anschluß an 7. Armee zu nehmen.

3. Armee deckt die linke Flanke der Operation und setzt sich hierzu zunächst in Besitz der allgemeinen Linie Höhen östlich St. Etienne-Südosthänge der Höhe 182 an Straße Suippes-Châlons-Somme-Suippes-Höhen südöstlich Perthes.

Mit fortschreitendem Angriff der 1. Armee hat die 3. Armee die allgemeine Linie Courtifols - Tilloy Bellay - Somme-Tourbe - Tourbe-Abschnitt zu gewinnen, um den Marne-Übergang der 1. Armee gegen Osten zu sichern. Der linke Flügel der 7. Armee schließt sich dem allgemeinen Vorgehen an und setzt sich

16 Der Angriffsentschluß.

zunächst in Besitz der Linie Verdon-Höhen la Chapelle-Höhen von Beaunay-Höhen südwestlich Bergères."

Der Frontabschnitt etwa zwischen der Ardre bis östlich Reims sollte also bei dem Angriff ausgespart werden. Als erstes Ziel bezeichnete Kronprinz Wilhelm die Abfchnürung der feindlichen Kräfte tn dem sogenannten Reimfer Bergwald. Jm übrigen betonte er die Not-wendigkeit völliger Überraschung des Gegners und schneller Durch-führung des Angriffs. Die beiden ersten Angriffstage und die erste Angriffsnacht wurden als entscheidend angesehen, die feindlichen Stellungsdivisionen mit ihrer Artillerie und den örtlichen Reserven müßten am ersten Tage überrannt und geschlagen sein.

Der Angriff sollte von insgesamt neununddreißig Divisionen aus-geführt werden, und zwar von elf Divisionen der 7., sieben der 1. und sechs der 3. Armee in erster Linie; ihnen hatten sieben Divisionen der 7., vier der 1. und vier der 3. Armee im zweiten und dritten Treffen (ein-schließlich der Stellungsdivisionen) zu folgen*). Hinter diesen neunund-dreißig sollten noch zehn weitere Divisionen verfügbar fein.

Da die ,,Hagen"-Offensive dem ,,Reims"-,,Marneschutz"-Angriff mit kurzer Frist folgen sollte, sah die O.H.L. von einer Heranziehung von hinter der Flandern-Front stehenden ,,Mob."-Divisionen zur Heeresgruppe Deutscher Kronprinz ab. Soweit diese nicht aus ihren Kräften die erforderliche Divisionszahl aufbringen konnte, - eine zum Teil nicht unerhebliche Schwächung der am Angriff nicht beteiligten Frontabschnitte war hierbei eingerechnet! - wurde ihr die Zuführung einiger Divisionen der Heeresgruppen Gallwitz und Albrecht in Aussicht gestellt, die gegen stark abgekämpfte aus den letzten Offensiven ausgetauscht werden sollten.

Im Rahmen des allgemeinen Operationsplanes war somit das ,,Reims"-"Marneschutz"-Unternehmen im wesentlichen nur als Ablenkungsangriff großen Umfangs anzusprechen. Auf der anderen Seite scheint es aber, daß man bei der O.H.L. doch weit höhere Ziele mit dieser Offensive verfolgte und es zum mindesten für sehr wohl möglich hielt, schon durch sie zu dem erstrebten Ziel, den Gegner friedensgeneigt zu machen, zu gelangen. Die Tatsache, daß die Basis des ,,Reims"-,,Marneschutz"-Angriffs immer mehr verbreitert wurde, bekräftigt diese Annahme, für welche übrigens auch verschiedene Äußerungen von Mit

*)Die Zahlen der Divisionen zweiter und dritter Linie änderten sich

Kräftezumessung. - Betrachtung. 17

gliedern der O.H.L. sprechen. War aber tatsächlich der ,,Reims"-,,Marneschutz"-Angriff über seinen ursprünglichen Rahmen hinausgewachsen und zur großen Operation geworden, so hätte wohl die Kräftezumessung einer ernsten Nachprüfung bedurft. Bei einer rückschauenden Betrachtung müssen Zweifel entstehen, ob es unter Berücksichtigung der starken Anstrengungen und Blutopfer, welche die deutschen Angriffsdivisionen während der ersten Hälfte des Jahres 1918 bereits zu bringen gehabt hatten, überhaupt noch möglich war, sich gleichzeitig an zwei Stellen zu entscheidenden Offensiven bereitzustellen. Lag nicht vielleicht in dieser Zersplitterung einer der Gründe für das spätere Scheitern des Angriffs?

Das Angriffsgelände und die Angriffstruppen 18

Tief in das Berggelände eingeschnitten zieht die Marne der Mosel ~ in ihrem Mittel- und Unterlauf vergleichbar zwischen Epernay und Chateau-Thierry in ruhigen, großen Windungen von Ost nach West Ihre Breite beträgt bis zu 70, ihre Tiefe 3 bis 4 m, die Stromgeschwindigkeit ist mäßig stark. Die Höhen zu beiden Seiten des Flusses überragen die Talsohle um 170 bis 200 m. Ihre Hänge tragen neben zahlreichen Obstpflanzungen die berühmten Weinstöcke, aus deren Trauben der Champagner gewonnen wird. Auf dem Südufer reicht stellenweise auch dichter Wald bis tief ins Tal hinab, während er nördllch des Flusses nur die Berge krönt. Zahlreiche Seitentäler unterbrechen auf beiden Selten die Uferhöhen; das breiteste und tiefste ist das des Surmelin-Baches, der, von Süden kommend, bei Mezy in die Marne mündet.

Mit der Überwindung des Flußabschnitts zwischen Gland und Verneuil mußte die 7. Armee auf dem Westteil ihrer Angriffsfront den Stoß beginnen, einem aufmerksamen, starken Feinde gegenüber wahrlich keine leichte Aufgabe! Aber auch nach gelungenem Übergang harrten des Angreifers hier noch große Schwierigkeiten. In dem Höhengelände südlich der Marne sind Wegsamkeit und Übersichtlichkeit gering, das ausgedehnte, mit vielen Teichen durchsetzte Waldgebiet zwischen dem Surmelin-Tal und Epernay bietet dem Verteidiger alle Vorteile, alle Nachteile dem Angreifer.

Als keineswegs leichter war der Angriff des östlichen Angriffsflügels der 7. Armee anzusprechen, der aus dem Naume Verneuil-Chambrecy vorbrechen und den Gegner im Reimser Waldgebirge (Forêt

Das Angriffsgelände 19

de la Montagne de Reims) schlagen sollte. Zahlreiche schmale, tiefeingeschnittene, in verschiedenen Richtungen laufende Bachtäler durchziehen dieses Höhengelände, dessen Berge sich in großen, markanten Formen 100 bis 150 m über die Talniederungen erheben und dessen Schlüsselpunkt die das Marnetal weithin beherrschende Höhe 263 westlich Fleury-la Riviere bildet. Die Schwierigkeiten, welche dieses dem Verteidiger Immer wieder neue Abschnitte, Stellungen, Flankierungsmöglichkeiten bietende Gelände bereitete, waren von den Kämpfen der 1. Armee um Reims im Mai/Juni her noch in schlimmer Erinnerung.

Östlich der Ebene von Reims erstreckt sich bis zu den Argonnen hin das Hügelgelände der ,,Champagne pouilleuse". Nur an wenigen Stellen erhebt es sich zu größeren, ausgesprochenen Höhen, wie etwa dicht östlich Reims, wo der massige Berru-Block bis 267 m emporragt, und südlich der Dörfer Norroy und Moronvilliers, wo sich die während der Frühjahrsoffensive von 1917 heiß umstrittenen Champagneberge (Cornillet: 201 m, Hoch-Berg: 257 m, Keil-Berg: 212 m, Pöhl-Berg usw.) aneinanderreihen. In seinen übrigen Teilen wechseln mäßig bewegte Ebenen mit muldenreichen Hochflächen. Nach Osten hin fallen die Höhen zur Aisne vielfach steil ab. Die Geländebedeckung ist unterschiedlich. Reben weiten, kahlen Flächen finden sich stellenweise zusammenhängende größere Waldungen, häufiger aber trägt der weiße Kalkboden jene für die Champagne charakteristischen kleinen, schmalen Kiefernwaldstreifen, die der öden, nur von wenigen Dörfern bedeckten, wafferarmen und unfruchtbaren Gegend das Gepräge außerordentlicher Eintönigkeit und Schwere geben.

Die wenigen Flüsse und Bäche, welche die Champagne durchziehen, sind zumeist schmal und unbedeutend. Als ein ernsthaftes Hindernis für einen Angreifer ist nur die Vesle auf der Strecke zwischen den Dörfern Sept-Saulx und Sillery anzusprechen. Hier ist das Flußtal ziemlich breit und stellenweise sumpfig, die Vesle selber von dem Aisne-Marne-Kanal begleitet; der Übergang über beide ist nur auf den vorhandenen Wegen und Brücken möglich, die von den nahe gelegenen Höhen des Reimser Bergwaldes eingesehen und unter Feuer gehalten werden können.

Die gewaltigen Materialschlachten, deren Schauplatz große Teile der Champagne während der vergangenen Kriegsjahre gewesen waren, hatten dem Gelände ihren Stempel aufgedrückt und in einer Zone von mehreren Kilometern alle Ortschaften, Waldstücke und Felder In eine Trichterwüste verwandelt. Der Angriff der 1. und 3. Armee mußte

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