REICHSARCHIV BAND 35, VON SEITE 180 BIS 226

Ein Dankeschön an unseren Freund Herrn Jacques Lemarié aus Deutschland, der uns diesen Text übermittelt hat.

Falls jemand anders uns auch helfen will, entweder mit Übersetzungen oder Übermittlung von Dokumenten, welche die 2. Marneschlacht betreffen, so ist er herzlich willkommen. Vielen Dank im voraus.

180 Die Ereignisse des 24. und 22. Juli.

In dem nördlich der Aisne gelegenen Frontabschnitt der 9. Armee

verlief der 21. Juli ohne besondere Ereignisse. Südlich des Flusses

waren bei der Gruppe S t a a b s in der Nacht vom 20./21. zwischen

den Truppen in und an der Front sowie in der Schutzstellung einige Ver-

schiebungen vorgenommen und der 241. sowie der 11. bayer. Inf.Div. eine

Anzahl neuer Feld- und Schwerer Batterien zugeführt worden. Von feind-

lichen Angriffen wurden an diesem Tage nur der linke Flügel der 241. so-

wie die 11. bayer. Inf.Div. getroffen. Der nach halbstündigem Trommel-

feuer In dichten Massen und unter Einsatz zahlreicher Tanks zum Sturm

vorbrechende Gegner konnte aber überall mit blutigen Köpfen heim-

geschickt werden, er erlitt besonders durch das flankierende Feuer der

nördlich der Aisne stehenden Batterien schwere Verluste. Trotz dieses

Abwehrerfolges erfuhr die Lage der Gruppe Staabs insofern eine nicht

unbeträchtliche Verschlechterung, als durch das Nachgeben der links be-

nachbarten 42. Inf.Div. im Laufe des Vormittags an der Naht der 9.

und 7. Armee zwischen la Roche und Noyant eine mehrere Kilometer

breite Lücke entstand. Immerhin hielt die 11. bayer. Inf.Div. mit ihrer

21. Inf.Brig. die Höhen von Vauxbuin -- Courmelles, mit der Abt.

Böckmann (68. Inf.Brig.) die Höhen östlich von Vignolles und bei

Noyant -- Septmonts fest in der Hand; der Crise-Bachgrund war durch

einige Kompagnien hart südwestlich und südlich von Courmelles gesperrt

worden. Hinter der Gruppe Staabs rückte auf einen Armeebefehl von

10.50 vorm. hin die 76. Res.Div. nach Billy -- Venizel heran (vgl. S.188).

Nachdem dann bis zu den Abendstunden die Kampftätigkeit auf

beiderseitiges Artilleriefeuer beschränkt geblieben war, erfolgte kurz nach

Abwehrkämpfe der Gruppen Staabs und Watter. 181

9.0 abds. gegen die 11. bayer. Inf.Div. nochmals ein starker Tankangriff,

der aber wieder im Feuer der deutschen Batterien und Maschinen-

gewehre völlig zusammenbrach. Die südwestlich von Billy eingetroffene

vorderste Kampfgruppe der 76. Res.Div. wurde der 11. bayer. Inf.Div.

für einen Gegenangriff bei etwaigem Verlust der Höhen von Belleu --

Noyant zur Verfügung gestellt.

Seit 5.30 vorm. lag heftigstes Artilleriefeuer auf dem ganzen Abschnitt

der G r u p p e W a t t e r, schwere Batterien beschossen die Stabsquar-

tiere und rückwärtigen Verbindungen. Kurz vor 7.00 vorm. brachen auf

breiter Front starke, von zahlreichen Tanks unterstützte Infanterie-

angriffe vor.

Bei der in Linie la Roche -- Wegegabel nördlich des ,,e" von ,,Visi-

gneux" stehenden 42. Inf.Div. konnte der Feind -- Teile der 1. amer.

Inf.Div. -- hart südlich von Berzy in die deutschen Linien eindringen

und diese allmählich nach beiden Seiten hin aufrollen. Die Reste der

zurückgedrängten Regimenter (Gren.Regt. 109, Füs.Regt. 40, II./Res. 215)

leisteten noch einige Zelt hindurch am Bahndamm westlich Noyant

Widerstand und wichen dann in die von der Abt. Böckmann (vgl. S.117)

besetzte Schutzstellung aus. Auch die zur Sperrung des Crise-Bachtals

in Linie Noyant -- östlich Aconin angesetzten Teile der 42. Inf.Div.

(Reste der Regter. 17, 131 und 138, Pi.Batl. 27 und M.G.Ss.Abt. 31)

mußten, als der Feind weiter südlich auf Buzancy vordrang, auf das

Nordufer des Baches zurückgehen; auch sie wurden bei Noyant von der

Abt. Böckmann aufgenommen.

Auch In dein südlich anschließenden, lediglich von zwei Bataillonen

des Res.Inf.Regts. 214*) (III. und I.) besetzten Abschnitt der 46. Res.Div.

(linke Grenze östlich der Feldwegegabel 500 m nordöstlich von Charan-

tigny) gelang dem Feind ein Durchbruch, bereits 7.00 vorm. hatte er die

Linie Waldstück westlich Chivry -- Schloßpark von Buzancy erreicht. In

verzweifeltem Kampf klammerten sich die Reste der Res. 214er, hervor-

ragend von der 1. und 3./Res.Felda. 46 unterstützt, im Nordteil sowie

hart östlich und südöstlich von Buzancy fest. Auf der Höhe nördlich des

Dorfes konnte der Ansturm der Franzosen durch das dort als Korps-

reserve stehende Res.Inf.Regt. 215 (ohne II. Batl.) zum Stehen gebracht

werden. Schließlich gewann gegen 10.20 ein gemeinsamer Gegenstoß

beider Regimenter (Res. 215 und 214) den Park von Buzancy sowie die

____________

*)Die Gefechtsstärke des ganzen Res.Inf.Regts. 214 betrug wenig mehr

als

300 Gewehre.

182 Die Ereignisse des 21. Juli.

Höhe nördlich des Dorfes bis etwa südöstlich Chivry zurück. Die tapfere

46. Res.Div. hatte hier bei Abschluß des Kampfes keine 300 Gewehre

mehr in der Front verfügbar.

Auch die südlich anschließende 20. Inf.Div. wurde von dem wütenden

Ansturm des hier mit frischen Kräften und unter Einsatz vieler Tanks

anrennenden Gegners zunächst etwas eingedrückt, südlich Villemontoire

konnte der Feind die Nationalstraße überschreiten und gegen Taux vor-

dringen; ein sofortiger Gegenstoß warf ihn jedoch wieder über die

Straße zurück. Als der Kampf hier zum Stehen kam, stand die Division

in einer vom Südrand von Buzancy entlang den Hang westlich Ville-

montoire zur Höhe 160 (400 m nördlich Tigny) verlaufenden Linie. Er-

neute, starke Tankangriffe gegen die 20. Inf.Div. scheiterten, 66 Gefan-

gene von sechs verschiedenen französischen Infanterie - Regimentern

blieben in der Hand der siegreichen Hannoveraner.

Waren auch an der Front der 20. Inf.Div. alle Durchbruchsver-

suche gescheitert, so hatte doch das Vordringen des Feindes am Morgen

auf die Hochfläche nördlich Buzancy eine äußerst bedrohliche Lage für

die Gruppe Watter geschaffen. Hier brachte das Eingreifen der 5. Inf.-

Div. eine Wendung.

Die 5. Inf.Div.*), die inzwischen vom Heeresgruppenkommando der

7. Armee zur Verfügung gestellt worden war, hatte mit der letzten

Marschgruppe in den ersten Morgenstunden des 21. Juli die Aisne

überschritten und Sermoise erreicht. Nachdem schon um 8.00 vorm. das

Gruppenkommando Watter das Vorziehen einer Kampfgruppe nach

Ambrief, der beiden anderen nach Acy befohlen hatte, sah sich der Divi-

sionskommandeur, Genmaj. Johow, um 8.30 vorm. auf Grund der

Nachrichten, die er von der 42. Inf.Div. erhielt, zu selbständigem Han-

deln gegen den drohenden feindlichen Durchbruch veranlaßt: er ließ die

beiden vordersten Marschgruppen (in Acy und le Mesnil, Leib-Gren. -

Regt. 8 mit II./Felda. 18 sowie Inf.Regt. 52 mit I./Felda. 18) sofort

zum Gegenstoß gegen die Linie Noziéres-Buzancy antreten; die dritte

Gruppe, Gren.Regt. 12 mit III./Felda. 18, hatte zur Sicherung der linken

Flanke nach Ambrief zu rücken. Als bald darauf die Nachricht vom An-

marsch feindlicher Kolonnen aus Chaudun gegen den rechten Flügel der

Gruppe Watter einging, wurde die dritte Kampfgruppe (ohne ein Ba-

__________

*) Die 5. Inf.Div. hatte seit Mitte Juni hinter der Front gelegen,

doch

waren Ruhe und Ausbildungszeit infolge mehrfacher Verschiebungen nur be-

schränkt gewesen. Die Division war noch nicht wieder ausgefüllt, die

Batterien

konnten infolge Pferdemangels teilweise nicht alle Geschütze bespannen.

Der Gegenangriff der 5. Inf.Div. 183

taillon) auf Septmonts in Marsch gesetzt, um auf den Höhen nordöstlich

dieses Dorfes dem rechten Flügel der Gruppe Halt zu geben; ein Bataillon

des Gren.Regts. 12 blieb als Divisionsreserve in der Waldspitze südlich

von Billy. Dem Gruppenkommando wurde von den getroffenen Maß-

nahmen Meldung erstattet; das von diesem orientierte A.O.K. 7 unter-

stellte darauf die 5. Inf.Div. 12.45 nachm. der Gruppe Watter.

Aus den von der 42. Inf.- und 46. Res.Div. eingehenden Nachrichten

konnte Genmaj. Johow keine volle Klarheit über die Lage an der Front

gewinnen, es blieb unentschieden, ob der Feind bereits über die Linie

Buzancy-Rozières vorgedrungen war. 12.00 mittags befahl der Divi-

sionskommandeur daher als erstes Ziel die Wegnahme der National-

straße; II. und IIL/Felda. 18 wurden zur einheitlichen Feuervorbereitung

ihrem Regimentskommandeur, Maj. Frhr. v. B litt e r s d o r f, wieder

unterstellt. Das unter Sicherung vorgeschobener Patrouillen auf Buzancy

vorgehende Regt. 52 nahm zurückgehende Mannschaften der 46. Res.Div.

auf und erreichte 1.30 nachm. die Hänge östlich dieses Ortes. Das Leib-

Gren.Regt. gelangte 3.30 nachm. an den Ostrand von Rozières.

Ein 3.00 nachm. erlassener Gruppenbefehl bezeichnete es als Aufgabe

der 5. Inf.Div., mit dem rechten Flügel am (Südlichen) Bahnhof von

Noyant Anschluß an die Gruppe Staabs, mit dem linken am Walde

südwestlich von Buzancy Anschluß an die 20. Inf.Div. zu suchen. Die

5. Inf.Div. hatte alsdann in diesem Abschnitt den Befehl zu übernehmen,

die anderen hier eingesetzten Truppen sollten im Laufe der Nacht her-

ausgezogen werden. Ein etwas später erlassener Zusatzbefehl bezeichnete

es als erwünscht, den Höhenrücken nordöstlich Charantigny in Besitz zu

nehmen, wenn es ohne erheblichen Kräfteeinsatz und ohne schweren

Kampf erreichbar sei; nach der allgemeinen Lage mußte die 5. Inf.Div.

in erster Linie für die Abwehr kampfkräftig erhalten werden.

Von ihrer Artillerie wirksam unterstützt, drangen die Regter. 8

und 52 über die Linie Rozières -- Buzancy unter stellenweise schweren

Kämpfen vor. Während auf dem rechten Flügel der Grenadiere der

Feind bei Chivry fluchtartig zurückwich, stießen die inneren Flügel der

beiden Regimenter am Wäldchen nordwestlich von Buzancy auf starken

Widerstand. Der Gegner hatte sich hier sehr geschickt im Walde einge-

nistet, seine Maschinengewehre sowie Baumschützen bestrichen wirksam

nach allen Seiten hin die Mulden und Hänge und erschwerten das Vor-

dringen sehr. Dem rechten Flügel des Leib - Gren.Regts. gelang es

schließlich, vor 70 abds. bei Sûcrerie die große Straße zu erreichen, da-

gegen schlug ein erneuter, gegen 90 abds. angesetzter, gemeinsamer An-

184 Die Ereignisse des 21. Juli.

griff beider Regimenter gegen das Wäldchen nordwestlich von Buzancy

fehl. Die bei Abschluß der stellenweise verlustreichen Kämpfe von der

5. Inf.Div. erreichte Linie lief von Sûcrerie -- etwa 300 m westlich an

Chivry vorbei -- entlang dem Ostrande des Wäldchens nordwestlich

Buzancy -- zur Nordwestecke des Waldstückes südwestlich dieses Dorfes.

Die Division gliederte sich zur Abwehr nach der Tiefe. Als Naht-

kommando zur Gruppe Staabs stand das Gren.Regt. 12 im Raume

beiderseits des Wegekreuzes 12.00 m südlich Billy.

Gegenüber der 20. Inf.Div., der schließlich die ganze Südhälfte des

Gruppenabschnitts unterstellt wurde, kam es am Nachmittag zu keinen

neuen feindlichen Angriffen; mit einbrechender Dunkelheit flaute auch

das Artilleriefeuer ab.

In die Kämpfe des Südflügels der 20. Inf.Div. waren auch noch

Teile der 3. Res.- sowie der den rechten Flügel der G r u p p e E tz e 1

bildenden 10. Inf.Div. verwickelt worden. Es kam hier zu einem schwe-

ren, wechselvollen Ringen um Tigny; schließlich konnte das bereits teil-

weise verlorene Dorf zurückerobert werden. Auch gegen die übrigen Divi-

sionen der Gruppe Etzel, 9. Inf.-, 19. Ers.- und 40. Inf.Div., brandeten

mehrfach die Wogen der französischen Tanks und Sturmtruppen an. Vor

der 9. Inf.Div. brach der feindliche Angriff völlig zusammen, bei der

19. Ers.Div. wurde er durch einen Gegenstoß zum Stehen gebracht, doch

ging hier le Plessier Huleu verloren. Die 40. Inf.Div. wurde bis zu der

Linie: Höhenrücken 500 m südwestlich Station (1 km westlich Grand

Rozoy) -- la Bailette -- Waldstück nördlich Oulchy-la Ville zurückgedrückt.

Bei der G r u p p e W i n ck 1 e r war die nächtliche Zurücknahme der

Hauptwiderstandslinie glatt gelungen. Der Feind folgte hier aber sehr

schnell, bereits im Morgengrauen sah sich die den linken Flügel bildende

33. Inf.Div., welche sich in ihrer neuen Stellung (1 km südwestlich Brény

bis etwa 800 m nordwestlich Rocourt) noch nicht völlig eingerichtet hatte,

scharf angegriffen. Das seine Stellung nördlich la Croix zäh verteidigende

I./135 wurde beiderseits umfaßt und nach heftiger Gegenwehr größten-

teils gefangen. Das dahinter stehende III. Batl. war durch Artilleriefeuer

bereits schwer mitgenommen, es wich kämpfend zurück und konnte sich

erst östlich der Straße Brény -- Château-Thierry wieder setzen; noch

etwa 60 Mann mit sechs Maschinengewehren bildeten hier die Front

der 135er*). Das südlich anschließende Regt. 98 behauptete sich bis

gegen 6.30 vorm., Inf.Regt. 130 -- auf dem linken Flügel -- wohl noch

____________

*) Ausschließlich des IL Balls., das noch als Gruppenreserve zurück-

gehalten war.

Schwere Kämpfe bei den Gruppen Etzel und Winckler. 185

etwas länger im Vorfeld. Als aber dann der Feind bei und südöstlich

la Croix in die Hauptwiderstandslinie des Regts. 98 einbrach, kam die

Front beider Regimenter ins Wanken. Ein paar beherzte Leute des

Regts. 98 klammerten sich an den Osthang der langen Höhe westlich la

Haie, auch die Brigadereserve (II./98) konnte sich dicht westlich dieses

Dörfchens halten, der Rest der 98er aber und die 130er wichen über den

Garnier-Bach zurück. Regt. 130 wurde gegen Mittag nordöstlich und

östlich von Rocourt gesammelt. Der sehr vorsichtige Feind schob nördlich

von Grisolles über die Straße Brény -- la Croix Fe. nur Vortruppen

vor.

Gegen die beiden anderen Divisionen der Gruppe Winckler,

10. bayer. Inf.- (rechter Flügel) und 45. Res.Div. (Mitte) ging der

Feind erst gegen 8.00 vorm. zum Angriff vor. Im M.G.Feuer der Vor-

feldbesatzungen kamen seine Sturmtruppen zunächst zum Halten, doch

wurden beide Divisionen allmählich auf die Hauptwiderstandslinie

zurückgedrückt. Übertriebene Nachrichten über die Ereignisse bei der

33. Inf.Div. veranlaßten die 45. Res.Div., ihren linken Flügel noch

weiter zurückbiegen, und auch bei der 10. bayer. Inf.Div. bröckelten die

Reihen der über alle Maßen erschöpften Regimenter im Laufe des

Tages mehr und mehr ab. Schließlich standen die 10. bayer. Inf.- und

die 45. Res.Div. in der Linie Westrand Oulchy-la Ville -- Westrand

Oulchy-le Château -- Westhang Höhe 130 -- nördlich Schloß Armentières.

Bei der 33. Inf.Div. hatte der Divisionskommandeur, Genmaj.

v. S ch ö n b e r g, sogleich nach dem Bekanntwerden der Ereignisse vom

Vormittag die Zurückgewinnung der bisherigen Hauptwiderstandslinie

befohlen, doch dauerte es geraume Zeit, bis die Rückwärtsbewegung zum

Halten gekommen und die Regter. 98 und 130 wieder einigermaßen ge-

sammelt waren. In den ersten Nachmittagsstunden kam dann der Gegen-

stoß in Gang. Regt. 130 ging bis auf die Höhe nordöstlich der Ferme

nördlich von Grisolles vor, der Feind, anscheinend nur Patrouillen, wich

vor

ihm zurück. Der Gegenangriff des Inf.Regts. 98 war gegen 2.50 nachm.

bis auf die Höhe südlich Montigny Ch. -- dieses selbst wurde vom

Feind gehalten -- vorgedrungen; die dem Regiment neu zugeteilte

M.G.Ss.Abt. 43 setzte ihre 1. Komp. zum Angriff gegen das schmale

Waldstück südöstlich von la Croix an, das von ihr um 4.00 nachm. ge-

nommen war. Auch der energische Führer des Regts. 135, Major

M ü II e r , hatte mit drei aus den Trümmern seines III. und I. Batls.

gebildeten Gruppen und sechs Maschinengewehren, unterstützt von der

nahe herangezogenen Begleitbatterie (8./Felda. 283), in den Wald nord--

186 Die Ereignisse des 21. Juli.

östlich Montigny Château vorzustoßen gesucht, aber mit den wenigen

Leuten im frontalen und flankierenden Feuer naturgemäß keinen Erfolg

erzielen können. Die abends auf dem rechten Flügel eintreffende

1. Res./Pi. 16 (zunächst nur 50 Mann) nahm Verbindung mit der

45. Res.Div. nördlich des Ourcq auf.

Bei einem Teil der Batterien war es während des Angriffes (etwa

um 3.00 nachm.), wohl auf Grund von Mißverständnissen, zu einem

Stellungswechsel nach rückwärts über den Bachgrund Nanteuil -- Coincy

gekommen.

Infolge der sehr geschwächten Kampfkraft der 10. bayer. Inf.Div.

-- bei den bayerischen Regimentern bedienten fast ausschließlich Offi-

ziere die noch in der Front stehenden Maschinengewehre -- und der

45. Res.Div. hatte sich General v. Winckler gegen 3.30 nachm. entschlossen,

die in der Aufnahmestellung Gd. Rozoy (ausschl.) -- Butte Chalmont

stehende 78. Res.Div. (vgl. S.167) mit den Res.Inf.Regtern. 258 und 260

(je 300 Gewehre) sowie der III./Res.Felda. 62 auf Oulchy-le Château zur

Unterstützung der 10. bayer. Inf.Div. in Marsch zu setzen; Res.Inf.-

Regt. 259 blieb als Sicherheitsbesatzung auf der Butte Chalmont, der

Rest der Artillerie stand in Gegend Wallée. Der 45. Res.Div. wurde

das II./135 (Gruppenreserve) zugeführt. Am Abend befahl die Gruppe

den Einsatz der vorgezogenen 2/3 78. Res.Div. im südlichen Teil des

Abschnittes der 10. bayer. Inf.Div. bei Oulchy-le Château.

Auch die Gruppe Schoeler hatte ihren Abmarsch in die neue

Hauptwiderstandslinie während der Nacht ungestört vollziehen können.

Bis in die ersten Morgenstunden hinein schoß die feindliche Ar-

tillerie noch auf die verlassenen Linien. In der neuen Stellung

war schon vor Antritt der Bewegung (d. h. noch am späten Abend des

20. Juli) in den Abschnitten der 4. Ers.- sowie der 87. Inf.Div. je ein

Regiment der 36. Inf.Div. (bei der 4. Ers.Div.: Gren.Regt. 5, bei der

87. Inf.Div.: Inf.Regt. 128) eingesetzt worden. Bei der 201. Inf.Div.

hatten fünf Bataillone dieser Division selbst die neue H.W.L. besetzt. Da-

hinter sammelten und ordneten jetzt die 4. Ers.-, 87. Inf.- und 5. Garde

Inf.Div. ihre Verbände. Auch der Rest der 36. Inf.Div. stand von 5.00 vorm.

ab, und zwar bei le Four â Verre, bereit. Vor dem nur zögernd fol-

genden Gegner zogen sich die in der bisherigen Stellung sowie im

Zwischengelände zurückgelassenen Postierungen langsam zurück.

Gegen 7.00 vorm. begann der Feind eine Reihe von Vorstößen gegen

Abwehr feindlicher Angriffe gegen Gruppe Schoeler. 187

die 4. Ers.Div., die aber sämtlich von dem sehr schwachen Gren.Regt. 5*)

blutig abgewiesen wurden. Im Zusammenhang mit den Ereignissen bei

der rechts benachbarten 33. Inf.Div. mußte die 4. Ers.Div. aber doch

ihren rechten Flügel bis nahe an den Nordwestrand von Rocourt zurück-

biegen; hier wurden ein Bataillon der 5. Garde-Inf.Div. (1./Elis.) sowie

Teile des aus den Resten der 4. Ers.Div. formierten, insgesamt noch

450 Mann starken Inf.Regiments eingesetzt. Dahinter -- zwischen la

Poterie und Coincy -- schob das Gruppenkommando das letzte Regiment

(Inf.Regt. 175) der 36. Inf.Div. Auch gegen die 87. und 201. Inf.-

Div. bewegte sich der Gegner im Laufe des Vormittags langsam vor.

Die 87. Inf.Div. sollte das in ihrer Hauptwiderstandslinie stehende Inf.-

Regt. 128 wieder herausziehen und durch ihre eigenen Regter. Res.Ers. 3

und 345 ersetzen, doch gelang dieser Austausch angesichts der erwarteten

neuen feindlichen Angriffe nur teilweise. Als am Nachmittag die 33. Inf.-

Div. wieder vorging (vgl. S.185), konnte auch das Gren.Regt. 5 seinen

rechten Flügel wieder etwas vorschieben.

Im Laufe des Nachmittags ging der Gegner nach längerer Ar-

tillerievorbereitung mit starken Kräften gegen die 87. und 201. Inf.Div.

vor. An den inneren Flügeln beider Divisionen**) gelang es ihm, in

die Hauptwiderstandslinie einzubrechen, im Gegenstoß wurde diese aber

bald wiedergewonnen. Neue Angriffsversuche kamen im Vernichtungs-

feuer der deutschen Batterien nicht zur Entwicklung, am Abend hatte

die Gruppe ihre H.W.L. überall fest in der Hand. Allerdings waren die

eigenen Verluste erheblich, auch bei der Artillerie, welche insbesondere

einen starken Ausfall an Offizieren, aber auch an Material, zu beklagen

hatte. Die Infanteriegefechtsstärken betrugen bei der 87. Inf.Div. noch

1500 -- 1600, bei der 201. etwa 1800, bei der 5. Garde-Inf.Div. etwa

1000 Mann.

Der Abschnitt der Gruppe Kathen war in der Front nur

durch die 10. Landw.Div. besetzt, dahinter stand als Gruppenreserve die

23. Inf.Div., welche in der Nacht vom 20./21. je zwei Bataillone der

Regter. 101 und 108 sowie zwei Felda.Abteilungen als Eingreifgruppe

in den Wald bei le Four ä Verre vorgezogen hatte. Auch bei dieser

_____________

*) Die Gefechtsstärke des ganzen Regiments betrug nur noch 330 Mann;

außerdem hatte jede M.G.K. 40 -- 50, jeder M.W.Zug etwa 20, jeder Nach-

richtenzug etwa 30 Mann.

**) Grenze: Höhe 176 (hart südöstlich der Maison du Bois Fe.) -- Ancien

Min. (2,4 km südlich von Brécy).

188 Die Ereignisse des 21. Juli.

Gruppe war die Zurücknahme der Front in die Hauptwiderstandslinie

glatt gelungen. Der Feind, der am frühen Morgen noch die verlassenen

Stellungen bei Brasles beschossen hatte, fühlte im Laufe des Tages vor-

sichtig vor. Auf Grund zahlreicher in den Nachmittagsstunden gemachter

Beobachtungen (Truppenansammlungen, Heranführen von Brückengerät)

sowie von Gefangenenaussagen wurde für die Nacht mit Übergangs-

versuchen über die Marne gerechnet.

Bei der G r n p p e W i ch u r a sowie an der Marnefront der

G r u p p e C o n t a verlief der Tag ohne besondere Ereignisse. Auf dem

linken Flügel der Gruppe Conta hatte die 2. Garde-Inf.Div. mehrere

Teilangriffe abzuwehren; ein letzter, gegen 6.00 abds. erfolgter

feindlicher

Vorstoß auf Reuil wurde im Gegenstoß zum Halten gebracht, der Feind

zu Beginn der Nacht auf l'Echelle zurückgeworfen. Von den heraus-

gezogenen Divisionen der Gruppen Wichura und Conta marschierte die

200. zur Verfügung der Heeresgruppe am 21. Juli in den Raum

Courville -- Magneux -- Courlandon -- Unchair, während die 113. In der

Gegend von Ville-en Tardenois blieb und dort an einer rückwärtigen

Stellung schanzte.

An der Front der Gruppen S ch m e t t o w und B o r n e setzte der

Feind wider Erwarten seine Angriffe nicht in gleicher Stärke und

gleichem Umfang wie am Vortage fort. Immerhin richtete er besonders

gegen die 22. und 103. Inf.Div. mehrere kräftige Teilvorstöße, die aber

ausnahmslos blutig abgewiesen werden konnten. Bei Gruppe Borne

war in der Nacht die Ablösung der 123. durch die 50. Inf.Div. beendet

worden, die 123. rückte zur Auffrischung in die Gegend von Villers-

Franqueux.

Von den Heeresgruppenreserven waren am 21. Juli die 76. Res.Div.

zur 9., die 5. Inf.- und die bayer. Ers.Div. zur 7., die 240. Inf.Div. zur

1. Armee getreten. General v. E b e n schob zwei Kampfgruppen der

76. Res.Div. nach Billy -- Venizel, die dritte nach Crouy und Bucy-le

Long. Von den beiden der 7. Armee zugeteilten Divisionen wurde die

5. Inf.Div. der Gruppe Watter unterstellt, in deren Kämpfe sie um die

Mittagstunde eingriff (vgl. S.182/183). Die bayer. Ers.Div. erreichte im

Laufe des Vormittags mit je einer Kampfgruppe Nampteuil-sous-Muret,

Maast-et-Violaine und Cuiry-Housse. Die beiden letztgenannten Gruppen

wurden am Nachmittag der Gruppe Winckler unterstellt; sie setzten sich

4.30 nachm. südwärts in Marsch, um im Abschnitt der 10. bayer. Inf.Div.,

welche Oulchy-le Château verloren zu haben schien, zum Gegenstoß vor-

zugehen und die Division dabei abzulösen. Die Entwicklung der Lag

Nachrücken der Armee- und Heeresgruppenreserven 189

bei der Gruppe Etzel führte aber zu einem Eindrehen beider Kampf-

gruppen nach Osten und ihrer Bereitstellung beiderseits Grand Rozoy;

die nördliche Gruppe wurde Reserve der Gruppe Etzel, die südliche Re-

serve der Gruppe Winckler. Die 240. Inf.Div. erhielt vom A.O.K. 1 Be-

fehl, als Eingreifdivision für Gruppe Borne in den bisher von der

8.bayer. Res.Div. innegehabten Raum vorzurücken; diese sollte in der

Nacht vom 21./22. die 86. Inf.Div. ablösen.

Von den übrigen Divisionen der Heeresgruppenreserve rückte die

50. Res.Div. ostwärts in die Gegend nördlich von Clamecy, die 222. Inf.-

Div. mit zwei Kampfgruppen hinter die Gruppe Woyna, mit der dritten

hinter Gruppe Hofmann. Die bei Laon ausgeladene 24. Res.Div. er-

reichte am Abend mit fünf Bataillonen und einem Teil ihrer Artillerie

Serches und Ciry-Salsogne. Die Garde-Ers.Div. setzte ihre Versamm-

lung in Gegend Bazoches fort. Hinter dem rechten Flügel der 1. Armee

begann das Eintreffen der 1. Inf.Div. bei Branscourt -- Jonchery. An

weiteren Reserven rollten die 4. Garde-, 18. und 1. bayer. Inf.Div. sowie

die Deutsche Jäg.Div. heran, der Beginn ihrer Ausladung bei Chauny,

la Fère und Crépy war im Laufe der Nacht und am nächsten Tage zu

erwarten. Von der 1. Armee wurde seit den Abendstunden die Infanterie

der 26. Inf.Div. mit Lastkraftwagen in die Gegend von Bazoches trans-

portiert, die berittenen Truppen folgten.

*

*

*

Auch der 22. Juli verlief nördlich der Aisne ohne besondere Ereig-

nisse. Südlich des Flusses verhielt sich die Infanterie des Gegners vor

den Gruppen Staabs, Watter und Etzel ruhig, einzelne kleine

Patrouillenvorstöße wurden leicht abgewiesen. Die Tätigkeit der feind-

lichen Artillerie war tagsüber nur gegen Gruppe Etzel dauernd stark.

Durch das flankierende Feuer der Batterien der 14. Inf.Div. vom Nord-

ufer der Aisne wurden die Franzosen vor der Gruppe Staabs ge-

zwungen, den größten Teil ihrer in der Saconin-Schlucht stehenden Ar-

tillerie zurückzunehmen.

Die Gruppe Walter hatte nachts die noch eingesetzten Teile der 42.*)

und 28.*) Inf.- sowie der 3. und 46. Res.Div. herausgezogen. Die drei

____________

*) Die Artillerie der 42. und 28. Inf.Div. blieb zunächst noch

eingesetzt.

Auch die Reste des Leib-Gren.Regts. 109 blieben noch bis zum 23. Juli in

der

Schutzstellung der Gruppe Staabs.

190 Die Ereignisse des 22. Juli.

erstgenannten sammelten sich nördlich der Aisne, die 46. Res.Div.*)

blieb zunächst noch als Gruppenreserve bei Serches; irgendwelche Kampf-

kraft konnte ihr nicht mehr beigemessen werden. In der Front blieben

nur die 5. und 20. Inf.Div.; als neue Südgrenze der Gruppe wurde der

Nordrand von Tigny befohlen.

Die Gruppe Etzel hatte die noch ein9esetzten Infanterieteile der

10. Ins.-- und 51. Res.Div. (außer II./Res. 235 bei der 40. und Res.Inf.-

Regt. 236 bei der 10. bayer. Inf.Div.) zurückgenommen. Die 51. Res.Div.

sammelte sich bei Servenay. Die sehr schwache 10. Inf.Div. wurde

Gruppenreserve bei Nampteuil, ihre Artillerie blieb bis auf drei Begleit-

batterien vorerst bei der 9. Inf.Div. eingesetzt. Diese übernahm die Ver-

teidigung von Tigny und setzte dazu das II./154 aus ihrem rechten Flügel

neu ein.

Bei der Gruppe W i n ck 1 e r hatte bis zum Morgen die 78. Res.Div.

die Reste der drei bayerischen Inf.Regimenter der 10. bayer. Inf.Div.

abgelöst. Es verteidigten danach auf dem Abschnitt nördlich des Ourcq

die 10. bayer. Inf.Div. Oulchy--la Ville mit dem Res.Inf.Regt. 236**),

die 78. Res.Div. Oulchy-le Château mit den 600 Mann ihrer beiden Res.-

Regter. 260 und 258 und die 45. Res.Div. die Höhe 130 mit ebenfalls

etwa 600 Mann ihrer Regimenter Res. 211 und 212.

Nur bei Oulchy-la Ville kam es zu heftigen Kämpfen. Hier führte

der Feind tagsüber mehrere Angriffe, teilweise unter Begleitung von

Tanks. Es gelang aber dem tapferen Res.Inf.Regt. 236, nach wechsel-

vollem Kampf den Ort zu behaupten.

Das Armee-Oberkommando stellte am Morgen die ganze bayer. Ers.-

Div. (vgl. S.188/189) der Gruppe Winckler zur Ablösung der Abschnitte

der 10. bayer. Inf.- und der 78. Res.Div. zur Verfügung. Eine Kampf-

gruppe der Division blieb östlich der Höhe 157 (südlich Gd. Rozor), die

beiden anderen stellten sich im Laufe des Tages zwischen Cramoiselle und

Wallée sowie im Südteil des Bois d'Arcy bereit.

Südlich des Ourcq setzte der Feind seine Angriffe fort. Hier hatte

am rechten Flügel der Gruppe S ch o e 1 e r die 36. Inf.Div. in der Nacht

vom 21./22. Juli das Kommando über den bisher von der 4. Ers.Div.

______________

* ) Ohne die bei der 9. Armee eingesetzten Teile: Res.Inf.Regt. 216

sowie sechs

Feld-- und zwei schwere Batterien. Die Division formierte aus den Resten

ihrer

Regimenter Res. 214 und 215 zwei Bataillone mit einer Gesamtstärke von

(einschl. Regts.Stäbe) 40 Offizieren, 339 Mann; dazu 21 l. M.G., 27 5.

M.G.,

8 l. M.W.; dazu trat ein feuerbereites Feldgeschütz.

**) Die Gefechtsftärke des Regiments ist mit etwa 460 Mann anzunehmen

Ausweichen von Teilen der 33. Inf.Div 191

gehaltenen Abschnitt übernommen. Der Kommandeur der 36. Inf.Div.,

Genmaj. v. L e i p z i g, schob sein Inf.Regt. 175 -- bisher Gruppen-

reserve -- auf feinem rechten Flügel ein; das Regiment dehnte sich

dabei nach rechts hin bis zu dem Waldstück südwestlich von la Haie

aus. Offenbar im Zusammenhang mit dieser Bewegung entstand

bei dem den linken Flügel der 33. Inf.Div. -- diese wiederum linker

Flügel der Gruppe Winckler! -- bildenden Inf.Regt. 130 die Ansicht, daß

es abgelöst würde. Ein Gegenbefehl des Regts.Kommandeurs drang

nicht durch, in der herrschenden Verwirrung und Dunkelheit marschierten

die 130er großenteils nach rückwärts ab.

Die durch diese Reibung entstandene Unordnung war noch nicht be-

hoben, als gegen 4.00 vorm. der Feind nach kurzer, zusammengefaßter Ar-

tillerievorbereitung aus der Gegend von la Croix vorstieß und die

Stellung des Inf.Regts. 98 auf der Höhe südlich Montigny Ch. durch-

brach; in starker Auflösung fluteten die Kompagnien dieses Regiments

über den Garnier--Bach zurück. Die nördlich anschließenden wenigen

Gruppen der 135er mußten daraufhin ebenfalls ausweichen, dagegen

konnte Sich westlich Armentières die 1. Res./Pi. 16 behaupten. Ebenso

vermochte südlich der 33. Inf.Div. das Inf.Regt. 175, an welches Sich die

in Stellung gebliebenen Gruppen des Regts. 130 herangezogen hatten,

das Wäldchen 800 m Südwestlich la Haie festzuhalten; bei einem Gegen-

stoß in Richtung auf la Haie schoben die 175er sogar ihren Flügel bis

dicht an das Dorf heran. Als dann aber gegen 11.00 vorm. ein um-

fassender Vorstoß von Nordwesten her das Regiment traf, mußte dieses

schließlich doch hinter den Garnier-Bach zurückweichen. Immerhin gelang

es seinem linken Flügel, Rocourt zu behaupten; gegen diesen Ort sowie

gegen den Abschnitt des Gren.Regts. 5 beiderseits der Genevroy Fe. war

der Gegner nach starker Artillerievorbereitung nur mit Patrouillen vor-

gegangen.

Um die Mittagszeit hielt die 33. Inf.Div. die unter starkem

Artillerie-

feuer liegende Stellung: West-- und Südrand Armentières -- Höhen öst-

lich des Garnier--Baches bis zur Kreuzung der Wege Armentières --

Coincy und Rocourt -- Nanteuil-Notre Dame mit 66 Pionieren der

1. Res./Pi. 16, 45 Mann des Regts. 135 und 120 Mann des Regts:98

sowie je fünf leichten und schweren Maschinengewehren. Vorstöße gegen

diese Front scheiterten. Zur Sperrung des Ourcq-Tales wurden die

80 Mann der Min.Werf.Komp. 23, als Infanteristen verwendet, heran-

gezogen. Das Gruppenkommando hatte das II./135, bisher Gruppen-

reserve (vgl. S. 186), zur 33. Inf.Div. in Marsch gesetzt. Teile des.

192 Die Ereignisse des 22. Juli.

Regts. 130 konnten am Nachmittag östlich von Saponay gesammelt

werden. Zwischen 8.00 und 11.00 vorm. hatten auch mehrere Batterien

Stellungswechsel nach rückwärts über den Bachgrund Nanteuil -- Coincy

vorgenommen. Der Kommandeur der 33. Inf.Div., Genmaj. v. Schön-

berg, sah sich veranlaßt, in energischster Weise und durch scharfe Maß-

nahmen den Halt seiner Regimenter zu festigen*).

Zu einer eigentlichen Krise führten aber die hier geschilderten Ereig-

nisse nicht. Schon bald nach 8.00 vorm. begann bei la Poterie das Inf.-

Regt. 128 als Reserve der 36. Inf.Div. einzutreffen, es war hier bis

zum Mittag versammelt. Außerdem stand je eine -- allerdings sehr

schwache -- Eingreifstaffel der 5. Garde-Inf.Div. im Wald südlich Bru-

yères und bei la Misère. Die dritte Eingreifstaffel dieser Division hatte

die Gruppe Schoeler im Walde westlich Beuvardelle bereitgestellt.

Erst 7.00 nachm. stieß der Feind nochmals gegen den rechten Flügel

der 33. Inf.Div. bei Armentières vor, er wurde abgewiesen; durch Ein-

satz des inzwischen eingetroffenen II./135 festigte sich dann die Front

auch südöstlich des Dorfes.

Schwerer war das Ringen bei der 87. und 201. Inf.Div; nach stärk-

ster Feuervorbereitung folgten hier, von etwa 6.00 vorm. ab, mehrere

feindliche Angriffe. Mit besonderer Wucht stieß der Feind, teilweise unter

Einsatz von Tanks, südlich des Bois du Châtelet bei l'Hermitage und bei

Epieds vor. Bei der 87. Inf.Div. drang der Feind in den Südteil des

Bois du Châtelet ein, bei der 201. ging Epieds verloren. In erbittertem

Ringen wurde der Gegner herausgeworfen, nach wechselvollen Kämpfen

behaupteten beide Divisionen, die 201. unter Einsatz ihrer letzten Reser-

ven, ihre H.W.L.; erst in den Nachmittagsstunden flauten die Kämpfe

ab**).

Das Gruppenkommando hatte -- kurz vor 11.00 vorm. -- der

201. Inf.Div. die südliche Eingreifgruppe der 5. Garde-Inf.Div. (Regt.

Elisabeth) zur Verfügung gestellt; das Regiment wurde bataillonsweise

________________

*) Es wäre unbillig, hier nicht zu erwähnen, daß sich die

Inf.Regimenter

der 33. Inf.-Div. während der nächsten Tage, deren Kampfereignisse hier

nicht

mehr eingehend dargestellt werden können, g an z h e r v o r r a g e n d

ge-

schlagen haben. Das beweist, daß der Grund für das Versagen am 21. und 22.

allein in dem kampfungewohnten und in diesem Falle auch kampfunwilligen

Ersatz zu suchen ist. Nachdem dieser Ballast die Truppe befreit und das

Heer

der ,,Abgekommenen" und ,,Versprengten" vermehrt hatte, gewannen sofort die

guten Elemente wieder die Vorhand.

**) Die 87. Inf.Div. hatte dabei über 50, die 201. 138 Gefangene

(davon

8 Offiziere) und 12 M.G. erbeutet.

Heftige Kämpfe bei den Gruppen Schoeler und Kathen 193

in Bereitstellungsräume östlich von l'Hermitage, östlich von Epieds und

westlich der Artols Fe. vorgezogen.

Bei der 36. Inf.Div. kam es in den ersten Nachmittagsstunden in-

folge verschiedener Mißverständnisse, die durch das vorübergehende Ein-

dringen des Feindes in das Bois du Châtelet bei der 87. Inf.Div. hervor-

gerufen worden waren, zu rückwärtigen Bewegungen der Front, insbe-

sondere wurde Rocourt aufgegeben. In Linie Westhang Höhe 141 --

Punkt 122 (westlich Coincy) -- ",ré" von Brécy bildete sich eine neue

Front der 36. Inf.Div. Das Bois du Châtelet hielten jedoch weiterhin

Teile des Gren.Regts. 5 besetzt, auch vorwärts der Höhe 141 blieben

Gruppen der 175er. Gegen 3.30 nachm. wurde der Division das 3. Garde-

Regt. zur Verfügung gestellt; von einem Gegenstoß am linken Flügel

wurde aber abgesehen, da auch dieses Regiment nur etwa 150 Gewehre

heranbringen konnte. Nachdem dann Klarheit über die Lage bei den

Nachbarn geschaffen war, gingen die Regimenter der 36. Inf.Div. (Inf.-

Regt. 175 und Gren.Regt. 5) wieder langsam vor; gegen 1.00 vorm.

(23. Juli) war die Linie: Waldstück westlich der Höhe 141 -- 300 m östlich

Rocourt -- Westrand des Bois du Châtelet (linker Flügel etwa bei

Punkt 185) von den vordersten Teilen erreicht.

Ein Abendangriff gegen die 201. Inf.Div. scheiterte unter beiderseits

beträchtlichen Verlusten.

Auch gegen die 10.Landw.Div. (Gruppe K a t h e n) richtete der Feind

vom Morgengrauen ab heftige Angriffe. Sie wurden auf dem rechten

Flügel restlos abgeschlagen, doch mußte das hier eingesetzte Inf.Regt. 377

im Zusammenhange mit dem vorübergehenden Verlust von Epieds

durch die 201. Inf.Div. (vgl. S.192) seinen rechten Flügel etwas zurück-

biegen. Schwieriger gestaltete sich die Lage weiter südlich. Hier verlor

das

Regt. 378 trotz tapferer Gegenwehr Mont St. Père, der Gegner konnte

bis zur les Franquets Fe. vordringen, wurde aber wieder in den Wald

westlich von Jaulgonne (etwa bis Höhe 210) zurückgedrückt. Am schwersten

war der Kampf auf dem linken Flügel der Division. Hier hatte in der Nacht

vom 21./22. die links benachbarte 6. bayer. Res.Div. (Gruppe Wichura)

einen Bataillonsabschnitt des Regts. 372 übernehmen sollen. Reibungen

bei der Ablösung hatten zur Folge, daß ein Teil des Abschnitts zwischen

Barzy und Passy unbesetzt blieb oder doch zum mindesten nur von ganz

schwachen Kräften der 10. Landw.Div. gehalten wurde. Es gelang dem

Gegner in den frühen Morgenstunden des 22. Juli, die Marne etwa

zwischen Barzy und Courcelles zu überschreiten und durch den Forêt

de Ris nach Norden vorzustoßen. Gegen Mittag erreichten amerikanische

194 Die Ereignisse des 22. Juli.

Truppen, den noch an der Marne stehenden linken Flügel der 10.Landw.-

Div. in Flanke und Rücken fassend, le Charmel. Ein entschlossener

Gegenstoß der Landwehr-Division gewann im Laufe des Nachmittags die

Linie ,,J" von ,,Jaulgonne" -- Argentol zurück, der linke Flügel fand

Anschluß an ein inzwischen hier eingeschobenes Regiment der 1. Garde-

Inf.Div. (s. u.). Nördlich von le Charmel waren zur Sicherheit Teile

der 23. Inf.Div. in der sog. ,,Cäsar"-Stellung (vgl. S. 174) eingesetzt

worden.

Bei der Gruppe W i ch u r a hatte in der Nacht vom 21./22. Juli die

6. bayer. Res.Div. den Abschnitt der 1. Garde-Inf.Div. übernommen.

Diese war als Eingreifdivision der Gruppe Conta bestimmt worden und

noch im Marsch nach ihrem neuen Bereitstellungsraum begriffen, als

sie auf die Meldung vom Übergang des Feindes über die Marne hin

um 10.30 vorm. vom A.O.K. 7 angehalten und erneut der Gruppe Wichura

zugeteilt wurde. Inzwischen hatten die zwischen Varzy und Courcelles

auf das Nordufer der Marne übergegangenen feindlichen Kräfte den

rechten Flügel der 6. bayer. Res.Div. zurückgedrückt und die Bergnase

nördlich Passy erstiegen. Im Vorgehen durch den Forét de Ris er-

reichten ihre Vortruppen le Charmel. General Wichura befahl nunmehr

der inzwischen bei Ronchéres -- Champvoisy versammelten 1. Garde-Inf.-

Div., mit einer ihrer drei Kampfgruppen über le Charmel auf Jaulgonne

vorzustoßen. Daraufhin setzte sich das 2. Garde-Regt. z. F. in den letzten

N

achmittagstunden nach Südwesten in Bewegung. Der Gegenstoß hatte

guten Erfolg, der Feind wurde zurückgeworfen, das in vorderer Linie

eingesetzte Batl. Ö st e r r e i ch (II.) drang bis dicht an die Marne

heran vor. Die Masse des Regiments blieb südlich Argentol halten und

schloß hier die zwischen der 10. Landw.- und 6. bayer. Res.Div. ent-

standene Lücke. Die übrigen Teile der 1. Garde-Inf.Div. wurden in den

Raum Ronchéres -- Champvoisy zurückgezogen. Der 6. bayer. Res.Div.

gelang es im Laufe des Tages, den Feind durch den Forêt de Ris bis

Marcilly zurückzudrängen. Eine völlige Wiedergewinnung des nörd-

lichen Marneufers glückte der Division dagegen nicht, der Gegner ver-

mochte vielmehr auch bei Chassins mit einigen Kompagnien den Fluß

zu überschreiten. Der hier geschaffene Brückenkopf wurde indessen am

späten Abend durch Teile der 37. Inf.Div., welche den Abschnitt der

6. bayer. Res.Div. von Chassins (einschl.) ab übernahmen, beseitigt.

Auch an der Front der Gruppe C o n t a wurde um den Besitz des

nördlichen Marneufers gekämpft. Es gelang dem Gegner an einzelnen

Stellen, sich unter dem Schutze starken Artilleriefeuers mit Postierungen

Der Gegner überschreitet im Abschnitt der 6. bayer. Res.Div. die Marne. 195

einzunisten, an anderen wurden die übergegangenen Abteilungen ge-

fangengenommen oder vernichtet. Bei den Gruppen Schmettow und

B o r n e brachte der 22. Juli nur unbedeutende Teilkämpfe.

Die 9. Armee beließ am 22. Juli ihre Reserve, die 76. Res.Div.

im Raume Billy-Venizel, hinter dem Frontabschnitt nördlich der Aisne

blieb die 222. Inf.Div. als Heeresgruppenreserve. Die Ausladung der

4. Garde-, 1. bayer. und 18. Inf.- sowie der Deutschen Jäg.Div. (vgl.

S.189) nahm ihren Anfang.

Die der 7. Armee vom Heeresgruppenkommando 12.00 mitt. zur Ver-

fügung gestellte Garde-Ers.Div. erhielt Befehl, sich in drei Kampfgruppen

bei Nampteuil-sous-Muret, in den Waldstücken südöstlich Launoy und bei

Rugny bereitzustellen. Von den übrigen Armeereserven wurde die

28. Res.Div. bei Ville-en Tardenois -- Chambrecy zusammengezogen, die

113. Inf.Div. bei Villers-Agron und im Bois des 5 Piles für eine etwa

erforderlich werdende Verschiebung nach Westen bereitgestellt.

Von den Reserven der 1. Armee blieb die 240. Inf.Div. in ihrem

Bereitstellungsraum hinter der Gruppe Borne. Auch die dort ver-

sammelte 1. Inf.Div. wurde dem A.O.K. 1 vom Heeresgruppenkommando

zur Verfügung gestellt.

Von den Heeresgruppenreserven marschierte die zu zwei Dritteln bei

Serches -- Ciry-Salsogne versammelte 24. Res.Div. gegen Abend in den

Raum Loupeigne -- Lhuys -- Jouaignes -- Limé, dafür wurde die 50. Res.-

Div. aus dem Gebiet der 9. hinter den rechten Flügel der 7. Armee nach

Serche -- Vasseny und Sermoise geschoben. Die im Laufe des Vor-

mittags mit Lastkraftwagentransport in der Gegend von Bazoches ein-

getroffene Infanterie der 26. Inf.Div. rückte am Nachmittag bis in die

Wälder um Mareuil-en-Dôle vor. Die 200. Inf.Div. schließlich wurde auf

ihrem Abmarsch ins Etappengebiet angehalten und wieder bis Sergy --

Elerges vorgezogen.

Der Anmarsch weiterer Reserven (5. Re5.Div. von der 18., 199. Inf.-

Div. von der 1. Armee) wurde vom Heeresgruppenkommando für den

nächsten Tag befohlen. Auch die Oberste Heeresleitung stellte das Ein-

treffen einer Reihe neuer Divisionen in Aussicht.

Von den in der Nacht vom 21./22. Juli herausgezogenen Divisionen

begannen die 42. Inf.- und die 4. Ers.Div. in das Etappengebiet ab-

zurücken, die 28. Inf.- und die 3. Res.Div. wurden zunächst noch zur Re-

serve der 7. Armee nördlich der Aisne-Linie Condé -- Soupir bestimmt. Im

übrigen ordnete das Heeresgruppenkommando an, das Gebiet zwischen

der Kampffront und dem Chemin des Dames so schnell als möglich von

196 Die Ereignisse des 21. und 22. Juli.

den abgekämpften und zum Abmarsch nach rückwärts bestimmten

Divisionen usw. zu räumen sowie von allem überflüssigen Material jeder

Art freizumachen.

Der 21. und 22. Juli hatten den am 20. gewonnenen Eindruck, daß

der Höhepunkt der am 18. Juli begonnenen feindlichen Offensive über-

schritten und dementsprechend die schwerste Krise für die deutsche 9. und

7.

Armee überwunden sei, vollauf bestätigt. Es stand jetzt fest, daß der

Gegner

sein Ziel, die Abschnürung des gesamten über die Marne vorspringenden

Stellungsbogens, nicht erreicht hatte. Die brave Truppe hatte, mit

Energie und Geschick geführt, in schwerem Ringen einen vollen Abwehr-

erfolg errungen.

,,Damit war", sagt das K.T.B. der 7. Armee, ,,der höheren Führung

eine hoch zu bewertende Freiheit in ihren operativen Entschlüssen und

dem Tempo ihrer Durchführung erkämpft. Die drohende Gefahr der

Einkesselung und damit der Vernichtung der 7. Armee war zunächst

beschworen ". Diese zurückgewonnene Operationsfreiheit galt es

jetzt auszunutzen.

Schon allein nach der während der vergangenen Monate durch-

geführten und bis in die letzten Tage hinein von der O.H.L. festgehalte-

nen angriffsweisen Form der Kriegführung mußte der Gedanke, die

Lage durch einen groß angelegten Gegenangriff wiederherzustellen,

außerordentlich nahe liegen. Tatsächlich sind auch derartige Erwägungen

schon von Beginn der feindlichen Offensive an bei den verschiedenen

Kommandostellen aufgetaucht. Bei der O.H.L. war es vor allem der

Generalfeldmarschall v. H i n d e n b u r g selbst, der derartige Pläne

hegte. Er hatte dabei im Sinn, den Einbruch des Gegners von Norden

her über die Aisne bei Soissons flankierend zu fassen. Ein näheres Ein-

gehen auf diese Idee ergab jedoch, daß der Aufmarsch für einen der-

artigen Gegenangriff sehr viel Zeit kostete. Zudem mußte auch in diesem

Falle bis zum Wirksamwerden der Gegenaktion zunächst einmal die an-

gegriffene Front stark gestützt werden, wenn es hier nicht zu einer

Katastrophe kommen sollte. Beides zusammen aber -- Aufmarsch zum

Gegenangriff und Heranführung der erforderlichen Kräfte zur Stützung

der Front -- war bei den außerordentlich ungünstigen Eisenbahn-

verhältnissen unmöglich.

Kam somit nur eine defensive Abwehr des feindlichen Stoßes in

Frage, so galt es zu erwägen, inwieweit die Kampfbedingungen an der

Schlachtfront für eine erfolgreiche Durchführung dieser Aufgabe Gewähr

Wachsende Transport- und Nachschubschwierigkeiten 197

boten. Die Notwendigkeit, die schwer ringende Front zu stützen, hatte es

mit sich gebracht, daß in den zur Marne hin vorspringenden Stellungs-

bogen immer mehr neue Divisionen geschoben werden mußten, während

umgekehrt der Abschub abgekämpfter Truppen nur langsam vor sich

gehen konnte, da das Herauslösen der eng verkämpft liegenden Divisio-

nen nur allmählich möglich war. Der Bedarf an Nachschub und Ver-

pflegung, Munition und sonstigen Kampfbedürfnissen hatte somit eine

erhebliche Steigerung erfahren. Im Gegensatz dazu war die Eisenbahn-

lage sehr schwierig geworden. Durch das Vordringen des Feindes bis

hart westlich von Soissons war dieser Knotenpunkt für die Durchführung

von Zügen in den Stellungsbogen hinein völlig ausgefallen. Aber auch

die neugebaute Kurve von Missy, die Verbindung der Aisne- und Vesle-

Talbahn (vgl. die Fußnote auf S.143), lag bereits im Bereich des feind-

lichen Fernfeuers; mit ihrem Ausfall in absehbarer Zeit mußte gerechnet

werden. Dann aber mußte die 7. Armee ihren gesamten Nachschub mit

Kolonnen von weit rückwärts gelegenen Ausladepunkten her vorführen,

bei der Zahl der zur Verfügung stehenden Kolonnen und Arbeits-

kräfte sowie bei der gespannten Betriebsstofflage eine völlige Unmög-

lichkeit!

Aber die Bahnlage wirkte sich noch in einer anderen Hinsicht be-

deutungsvoll aus: War auch der Abschnitt zwischen Soissons und Reims

durch die Heranführung und den Einsatz der nahe der Angriffsfront

verfügbaren Reserven für den Augenblick notdürftig gestützt, so war er

doch für einen längeren Großkampf keineswegs genügend abwehrkräftig.

Wollte man den zur Marne vorspringenden Stellungsbogen gegen die

mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwartenden weiteren Angriffe halten,

so mußten ihm bis auf weiteres neue Divisionen in erheblicher Zahl zu-

geführt werden. Dem waren indessen die in den Bogen führenden Bahnen

-- ganz abgesehen von der Bedrohung der Aisne-Talbahn durch feind-

liches Feuer -- nicht gewachsen. In der kurzen Zeit seit der Mai/Juni-

Offensive notdürftig in Stand gesetzt bzw. ausgebaut, besaßen sie noch

keineswegs die genügende Leistungsfähigkeit, um neben dem gesteigerten

Nachschubbedarf auch erhebliche Truppentransporte bewältigen zu können.

Die von der O.H.L. herangeführten Divisionen, die zur Ablösung abge-

kämpfter Verbände dringend notwendig waren, mußten daher weit

rückwärts, etwa in Höhe von Chauny -- Crépy -- Laon, ausgeladen und

mit mehrtägigem Fußmarsch vorgeführt werden, sie standen somit erst

nach Tagen zur Verfügung. Bis dahin mußte die Front durch die abge-

kämpften Truppen der vorderen Linie und durch die wenigen mit Kraft-

198 Die Ereignisse des 21. und 22. Juli.

wagentransport von den Nachbararmeen herangeführten Divisionen ge-

halten werden. Es bestand somit ernstliche Gefahr, daß die eben be-

schworene Krise erneut eintreten würde; ihr Ausgang blieb ungewiß.

Ein letztes kam hinzu: Von der Beweglichkeit der französischen

Führung mußten weitere Überraschungen erwartet werden. Sah Foch,

daß die am 18. Juli begonnene Offensive sich festlief, so konnte es ihm

bei der Fülle der ihm zur Verfügung stehenden Transportmittel nicht

schwer sein, den größten Teil seiner zahlreichen Reserven an andere, von

deutschen Reserven entblößte Stellen der Front zu schieben und dort

eine neue Überraschungsoffensive zu führen. Dies konnte leicht wieder

Einbrüche größeren Umfangs und dementsprechend schwere Verluste an

Gefangenen und Material zur Folge haben, die sich bei der schwierigen

Ersatzlage besonders verhängnisvoll auswirken mußten.

Erwägungen solcher Art hatten das A.O.K. 7 sowie das Heeres-

gruppenkommando schon an den vergangenen Tagen veranlaßt, die

Räumung des gesamten Stellungsbogens ins Auge zu fassen und vor-

zubereiten, teilweise sogar -- zwischen Ourcq und Marne -- bereits in

die Wege zu leiten. Kronprinz Wilhelm sah sich nunmehr (am 21. Juli)

veranlaßt, der O.H.L. vorzuschlagen, durch Zurücknahme der deutschen

Linie zwischen Soissons und Reims die Front zu verkürzen und dadurch

Kräfte auszusparen, ,,um selber angreifen und die Initiative an sich

reißen zu können"*).

Die O.H.L. konnte sich nur schwer zu einem Eingehen auf diesen

Vorschlag entschließen. Selbstverständlich war auch sie sich der dargeleg-

ten Schwierigkeiten für eine Fortsetzung des Kampfes in den derzeitigen

Stellungen durchaus bewußt. Aber sie war sich auch klar darüber, daß

eine Räumung des Marnebogens einen Prestigeverlust bedeutete, der,

insbesondere hinsichtlich der Einstellung der Bundesgenossen, von unab-

sehbaren Folgen sein konnte. Schließlich erklärte aber die O.H.L., wenn

auch unter einigen Vorbehalten, ihr Einverständnis. Am 22. Juli befahl

General Ludendorff mündlich den Chefs der 7. und 1. Armee, daß alle

Vorbereitungen getroffen werden sollten, ,,um in eine Stellung hinter

dem oberen Ourcq mit linkem Flügel Richtung Marfaux (1. Armee) zu-

rückzugehen." Der endgültige Befehl zur Ausführung dieser Bewegung

blieb vorbehalten; dagegen wurde schon jetzt befohlen, daß die 7. Armee

in der Nacht vom 23./24. mit den Korps Schoeler, Kathen und Wichura

bis in die Linie Nanteuil-Notre Dame -- Coincy -- Beuvardes -- Vincelles

ausweichen sollte.

_______________

*) Nach dem Kriegstagebuch der Heeresgruppe.

Der Entschluß zur Ausgabe des zur Marne vorspringenden Stellungsbogens. 199

Das Heeresgruppenkommando sowie das A.O.K. 7 erließen noch am

22. Juli die entsprechenden Befehle. Die 7. Armee sah das Zurückgeben

in die ,,Große Brückenkopfstellung"*): Wald von Plessier -- südlich Grand

Rozoy -- Wallée -- Nordufer des Ourcq bis Cierges -- Ronchères --

St. Gemme -- Cuisles -- la Neuville -- Marfaux für die Nacht vom

24./25. Juli vor; das Heeresgruppenkommando behielt sich jedoch die

Entscheidung hierüber vor. Weitere Befehle regelten den beschleunigten

Abschub der Bagagen und des Materials auf das nördliche Aisne-Ufer.

* *

*

Die 10. franz. Armee stieß beider Fortsetzung ihres Angriffs am

21. Juli überall auf hartnäckigen Widerstand. Ihr I. A.K.**), welches

den Auftrag hatte, die Hochfläche südöstlich von Belleu zu nehmen, ver-

mochte mit der ihm hierzu besonders zur Verfügung gestellten 69. Inf.-

Div. lediglich Berzy-le Sec zu erstürmen. Das nach Süden anschließende

XX. A.K., dem die 87. Inf.Div. zur Ablösung der Div. Marocain zu-

geteilt worden war, hatte die Höhen östlich von Maast-et Violaine zum

Ziel; sein Angriff blieb jedoch schon westlich der Linie Buzancy -- Ville-

montoire unter empfindlichen Verlusten liegen. Ähnlich erging es dem

XXX. A.K., welches bis auf die Höhen nördlich von Arcy-Ste. Restitue

und zum Bois d'Arcy vordringen sollte, sein Vorstoß stockte bereits west-

lich des Bois du Plessier. Etwas größer waren an diesem Tage die

Fortschritte des XL A.K., dem die schnellere Vorwärtsbewegung der

benachbarten 6. Armee zugute kam; es schob seine Linien bis westlich

Oulchy-la Ville -- Oulchy-le Château vor. Sein Ziel, die Höhen östlich

von Saponay, erreichte es allerdings bei weitem nicht.

Seit dem 19. Juli hatte die 10. Armee bereits vier Divisionen ablösen

müssen***); in der Nacht vom 21./22. begann weiter die Ablösung der

1. amer. durch die 15. brit. und der 38. franz. durch die 34. brit.

Inf.Div.

Die 6. Armee fand am Morgen des 21. Juli die deutschen Stel-

lungen bei Château-Thierry geräumt. Von 6.00 vorm. ab drangen dem-

gemäß ihre Divisionen rasch vorwärts, die Linie Latilly -- Bonnes --

Etrépilly wurde überschritten. Beim XXXVIII. A.K. drang die 39. Inf.

____________

*) Die in der Nacht vom 23./24. Juli einzunehmende Linie Nanteuil --

Coincy

--Vincelles wurde als ,,Zwischenstellung" bezeichnet.

**) Die 11. Inf.Div. des 1. A.K. war vorübergehend als Armeereserve

her-

ausgezogen.

***) Von ihnen hatte die 153. Inf.Div. 2650 Mann verloren.

200 Die Ereignisse des 21. und 22. Juli.

Div. in Château-Thierry ein, während die 3. amer. Inf.Div. bei Brasles

und Gland die Marne überschritt und die Südhänge des Bois de Bar-

billon gewann. Bei der 6. Armee wurden im Laufe des Tages die 63. und

52. Inf.Div. (vgl. S.177) ganz eingesetzt.

Die Heeresgruppe ,,Reserve" hatte am Vormittag des 21. Juli die

Absicht, zur Ausnutzung der günstigen Lage der 6. Armee Kavallerie

einzusetzen und forderte dementsprechend bei Pétain das bei der 5. Armee

befindliche 1. Kav.K. an. Da dessen Eintreffen aber frühestens nach 24

Stunden möglich war, wurde die am ehesten (in Gegend Longpont)

verfügbare 6. Kav.Div. des 2. Kav.K. über Troesnes -- Hautevesnes vor-

gezogen, um über Bonnes~Brécy sprungweise bis zu den Osträndern

des Waldgeländes westlich Fère-en Tardenois -- Fresnes der Infanterie

zu folgen, dann in der allgemeinen Richtung auf Fismes vorzu-

brechen und gegen die rückwärtigen Verbindungen der Deutschen zu

wirken. Infolge der Länge und der Schwierigkeiten des Anmarsches

gelang es der Division jedoch nicht, bis in Höhe der vorderen Infanterie-

linien zu kommen.

Der 9. Armee, die nur noch die 73. und 18. Inf.Div. des III. A.K.

in Front hatte, glückte es am 21. Juli nirgends die Marne zu über-

schreiten. Auch die 5. Armee hatte trotz wiederholter Vorstöße in dem

waldigen Gelände des Reimser Bergwaldes keinen nennenswerten Er-

folg. Es bestand hier der Eindruck, daß sich die Deutschen besonders vor

der Front des XXII. brit. A.K., vor allem auch artilleristisch, verstärkt

hatten. Hinter der Front der 5. Armee rückten die 168., 77. und 131. Inf.-

Div. heran.

Die Heeresgruppen ,,Reserve" und ,,Mitte" befahlen für den 22. Juli

die Fortführung des Angriffs. Die 6. Armee beabsichtigte, die Verfol-

gung überall energisch durchzuführen; General D e g o u t t e wies seine

Korps auf die nötige Tiefengliederung hin und befahl, in vorderer Linie

nur eine verhältnismäßig schwache, aber gut munitionierte Artillerie zu

lassen.

Man rechnete auf Seiten der Entente mit deutschen Ablenkungs-

angriffen nördlich der Oise oder gegen die englische Front. Demgemäß

ordnete Pétain die Bildung von zwei Gruppen aus den abgelösten und

abgekämpften Divisionen hinter der Front der 1. und 3. (linker Flügel

und Mitte der Heeresgruppe ,,Reserve") Armee an.

Auch der 22. Juli brachte der 10. und 5. Armee keine nennens-

werten Erfolge. Es zeigte sich, daß die Deutschen besonders hartnäckig

die Höhen südwestlich Soissons und bei Vrigny -- also die Flanken des

Die Ereignisse auf der Feindseite. 201

Sackes südlich der Aisne -- Vesle-Linie -- behaupteten. Günstiger ver-

liefen die Operationen in der Mitte des Schlachtfeldes; hier erreichte

die 6. Armee die allgemeine Linie Brény -- Bézu-St. Germain -- Jaul-

gonne. Da ihr Angriffsstreifen zwischen dem Ourcq und der Linie Jaul-

gonne -- Ronchères (beide einschl.) allmählich schmäler wurde, bereitete

sie

das Herausziehen des VII. A.K. vor. Bei der 9. Armee erzwang die

73. Inf.Div. den Marne-Übergang bei Passy und Courcelles; trotz

deutscher Gegenangriffe konnte hier ein Brückenkopf gehalten werden.

Der Rückzug hinter die Vesle.

Ehe die von der deutschen O.H.L. befohlene Zurücknahme des zur

Marne hin vorspringenden Stellungsbogens begann, kam es am

23.Juli erst noch zu einem sehr starken feindlichen Angriff gegen die

gesamte West- und Teile der Südostfront der 7. sowie gegen die Gruppe

Borne der 1. Armee.

Nach anderthalbstündigem Trommelfeuer brachen um 6.00 vorm. fran-

zösische, britische und amerikanische Sturmkolonnen, auch heute wieder

unterstützt von zahlreichen Tanks, gegen den Frontabschnitt Noyant --

Jaulgonne zum Angriff vor. Aber obgleich der Gegner mehrere neue

Divisionen eingesetzt und seinen Stoß offenbar in weitem Umfange und

planmäßig vorbereitet hatte, blieb ihm ein Erfolg versagt. Der linke

Flügel der Gruppe Staabs sowie die Gruppe Watter hielten restlos ihre

Stellung; wo dem Feind vorübergehend ein Einbruch gelungen war,

wurde er im Gegenstoß wieder zurückgeworfen. Bei der Gruppe Etzel

konnten die Franzosen bis über die Chaussee Hartennes -- Oulchy - le

Château vorkommen, doch drängten die 19. Ers.- und Teile der 51. Res.-

Div. den Gegner wieder auf die Westseite der Straße zurück. Bei den

Gruppen Winckler und Schoeler wurde besonders um die Höhe 141 (an

Straße Armentières -- Coincy) sowie um das Bois du Châtelet erbittert

gekämpft. Höhe 141 und der Südteil des Châtelet-Waldes konnten be-

hauptet werden, dazwischen mußte die deutsche Infanterie bis an die

Bahnlinie bei Coincy und Brècy zurückgehen. Bei Gruppe Kathen

Schließlich verteidigte die 10. Landw.Div. erfolgreich ihre Stellungen in

den Wäldern nördlich von Jaulgonne, kräftige Gegenstöße konnten ört-

liche Einbrüche des Gegners ausgleichen.

Erfolgreiche Abwehr eines feindl. Großangriffs am 23. Juli. 203

Zwischen Marne und Reims wurde besonders am linken Flügel der

Gruppe Schmettow sowie bei der Gruppe Borne erbittert gerungen. Es

gelang dem Gegner, der auch hier starke neue Kräfte ins Gefecht führte,

Marfaux zu nehmen sowie im Bois de Reims und westlich von Brigny

Gelände zu gewinnen. Im wesentlichen blieb aber doch auch hier der von

weißen und farbigen Franzosen sowie von Engländern geführte Stoß

erfolglos.

Damit waren für die Rückwärtsbewegung der Gruppen Schoeler,

Kathen und Wichura zwischen Ourcq und Marne günstige Bedingungen

geschaffen, sie konnte in der Nacht vom 23./24. Juli ohne Störung durch

den Gegner durchgeführt werden. Mit Rücksicht auf die Verkürzung der

Front und die damit eingetretene Verschmälerung der Gefechtsstreifen

der einzelnen Gruppen wurde das Generalkommando des XXIII. Res.K.

(Gruppe Kathen) herausgezogen, seinen Abschnitt übernahm am 24. Juli

6.00 vorm. die Gruppe Wichura mit.

Der 24. Juli brachte zwar keine Fortsetzung des feindlichen Groß-

angriffs, aber doch starke örtliche Stöße gegen die Gruppen Winckler

und Schoeler, die an der Naht zwischen beiden zeitweilig zu einer Krise

führten. Die deutsche Linie mußte bis über den Grund Nanteuil-Notre

Dame -- Coincy zurückgenommen werden, und auch in das Bois de la

Tournelle drang der Gegner ein; 10 Feldgeschütze gingen verloren.

Gegen die neue Front der Gruppe Wichura drängte der Feind stark

nach. Ein französischer Abendangriff gegen Gruppe Borne konnte im

Gegenstoß abgeschlagen werden. Für die kommende Nacht wurde von

der 7. Armee die Abschrägung der Front der Gruppen Conta und

Schmettow in die Linie Châtillon -- Rodemat-Wald -- Espilly angeordnet.

24 Stunden später sollte nach einer Weisung der Heeresgruppe die Zu-

rücknahme der 7. Armee in die sog. ,,große Brückenkopfstellung" (vgl.

S.199) erfolgen, die Vorbereitungen dazu hatten sogleich zu beginnen.

In teilweiser Abänderung des Befehls vom 22. Juli (vgl. S.199) wurde

vom Heeresgruppenkommando aber jetzt für die 7. Armee die Linie

Grand Rozoy -- Wallée -- Ourcq-Abschnitt bis Cierges -- Bois Meunière --

Villers Agron -- Romigny -- Ville-en Tardenois (hier Anschluß an

1. Armee) festgesetzt.

Der Rückzug in die ,,große Brückenkopfstellung" wurde jedoch auf

Veranlassung der O.H.L. zunächst wieder aufgeschoben. Für den Morgen

des 25. Juli war nämlich bei der Gruppe Borne ein Gegenangriff der

1. Inf.Div. zur Rückgewinnung einiger am 23. Juli verlorener Gelände-

teile vorgesehen, dem sich gegebenenfalls auch weitere Teile der Gruppe

204 Der Rückzug hinter die Vesle.

Borne sowie eine herangeführte Division der O.H.L.Reserve anzu-

schließen hatten. Der Angriff sollte die Linie Marfaux -- Ormes ge-

winnen und, wenn irgend möglich, noch darüber hinaus vorgetragen

werden. Von seinem Ergebnis machte die O.H.L. die weitere Zurück-

verlegung der 7. Armee abhängig, ,,selbst wenn dadurch die Verlegung

um einen Tag aufgeschoben würde".

Welche Erwartungen die O.H.L. im einzelnen an den Angriff der

Gruppe Borne knüpfte, ist aus den Akten nicht näher festzustellen. Tat-

sächlich war eine etwaige Gewinnung des Höhenrandes bei Vargny --

Jouy -- Ville-Dommange, das Ziel der deutschen Angriffe am 16. und

17. Juli (vgl. S.30/31), nach wie vor von größter Bedeutung. Gelang

es, diese das Reimser Becken beherrschenden Höhen zu erobern und zu

halten, so war der Gegner auch heute noch aller Voraussicht nach zum

Aufgeben dieser Stadt gezwungen. Das würde aber wiederum eine

grundlegende Änderung in der gesamten Nachschublage zur Folge haben,

denn mit dem Besitz von Reims war auch eine leistungsfähige, in den

Marnebogen hinein führende Bahnlinie gewonnen.

Aber auch ganz abgesehen von diesen Aussichten waren der O.H.L.,

insbesondere General L u d e n d o r ff, an der Notwendigkeit des Rück-

zugs der 7. Armee Zweifel entstanden. Die unstreitbare Tatsache, daß

die Truppe den ,,Nervenzusammenbruch" vom 18. Juli überwunden und

größtenteils wieder die alte Kraft in der Abwehr bewiesen hatte, mochte

dabei ebenso mitgesprochen haben wie die außerordentlich günstigen Be-

richte, welche mehrere an die Kampffront entsandte Offiziere der O.H.L.

erstattet hatten. Der Gedanke, durch eigenen Angriff die Lage wieder-

herzustellen, gewann wieder Raum*), und zwar war dazu die 9. Armee

ausersehen, welche Befehl erhielt, eine Offensive aus den Abschnitten der

15. Inf.. und 53. Res.Div. heraus, also nördlich der Aisne zwischen Bois

St. Mard und Osly, vorzubereiten und einen weiteren Vorstoß über

Soissons und westlich im Raume der 14. Inf.Div. zu erkunden.

Im Gegensatz hierzu war K r o n p r i n z W i 1 h e 1 m nach wie vor

von der Notwendigkeit eines Ausweichens, und zwar bis hinter Aisne

und Vesle, überzeugt. in einem Brieftelegramm an die O.H.L. führte

das Heeresgruppenkommando folgendes aus:

________________

*) Auch bei der Truppe selbst hatte man -- zum mindesten stellenweise

--

die Überzeugung, daß die Lage für einen großzügigen Gegenangriff ,,reif"

sei

und daß ein solcher mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Erfolg führen

würde

so wurden z. B. von der 20. Inf.- und 3. Res.Div. Gegenangriffe angeregt.

Zweifel der O.H.L. an der Notwendigkeit des Rückzuges. 205

,,... Soll die Schlacht im Kampfgebiet südlich der Aisne und Vesle

aus-

gefochten werden, so ist die Zuführung frischer Kräfte aller Waffen, also

auch

an Heeresartillerie, nötig. Genaue Zahlen können noch nicht angegeben

werden. Sie sind nicht abzusehen....

Daß der Feind die Schlacht fortsetzt, ist mit Sicherheit zu erwarten.

Ihm

stehen dazu ausreichende Kräfte zur Verfügung.

Die Heeresgruppe glaubt nicht, daß es unter diesen Umständen zweck-

mäßig ist, den Kampf südlich der Vesle auszufechten. Starke Teile des

Heeres

und der Nachschubmittel werden zerschlagen und verbraucht, Kräfte für

weitere Schläge unsererseits werden dadurch immer mehr beschränkt.

Die Heeresgruppe schlägt daher vor, mit 9., 7. und 1. Armee

schrittweise

hinter Aisne und Vesle auszuweichen.

In dem Bogen südlich Aisne und Vesle stehen augenblicklich 27 Divi-

sionen in Front. Die Aisne- und Vesle-Front erfordert in vorderster Linie

14 Divisionen.

Die Heeresgruppe wird prüfen, ob es zweckmäßig ist, vorwärts der

Aisne und Vesle eine Vorstellung beizubehalten.

Die Schulterpunkte der Bewegung, rechter Flügel der 9. Armee und

Gegend Reims, werden besonders zu stärken sein.

Die Erkundungen sind eingeleitet; mit den praktischen Vorbereitungen

kann unverzüglich begonnen werden, wenn die Entscheidung getroffen ist.

Sobald der Feind die Absicht erkennt, wird er voraussichtlich zu neuen

Schlägen, wahrscheinlich an anderer Stelle, schreiten. Von großer Bedeutung

wird es sein, ihm hierin durch eigenen Angriff zuvorzukommen."

Der Angriff bei der Gruppe Borne am 25. Juli brachte verhältnis-

mäßig geringe Erfolge; es gelang nur, einen Teil des am 23. verlorenen

Geländes zurückzugewinnen, die Erreichung der Linie Marfaux -- Ormes

oder gar des Höhenrandes weiter südlich erwies sich als unmöglich. An

der gesamten Front der 7. Armee blieb die Kampftätigkeit rege, der

Feind setzte seinen Angriff in Form starker Teilstöße fort. Dabei ging bei

der Gruppe Endres -- (das Gruppenkommando Watter war am 24. Juli

6.00 abds. durch das Generalkommando des I. bayer. A.K., Komman-

dierender General: Genlt. v. E n d r e s. abgelöst worden) -- nach er-

bittertem, von der 20. Inf.Div. mit größter Tapferkeit geführtem Ringen

das Dorf Villemontoire verloren; unmittelbar östlich des Ortes konnte

der Stoß aufgefangen werden. Auch bei den Gruppen Etzel, Winckler

und Schoeler wurden die deutschen Linien stellenweise etwas eingedrückt,

die Gruppen Wichura und Conta verloren Teile ihres Vorfeldes.

In ihrem dem Befehl der O.H.L. entsprechend eingereichten An-

griffsentwurf schlug die 9. Armee eine Beteiligung der angrenzenden

Flügel der 18. und 7. Armee an der geplanten Offensive vor. An Trup-

pen waren nach Ansicht der 9. Armee drei frische Angriffs- und sieben

Stellungsdivisionen nördlich, Zwei frische Angriffs- und drei frische

206 Der Rückzug hinter die Vesle.

Stellungsdivisionen südlich der Aisne erforderlich. Der Angriffsbeginn

schien bei beschleunigtem Ausbau einiger Bahnstrecken in etwa 14 Tagen

möglich. Das Heeresgruppenkommando setzte in seiner Stellungnahme

zu dem Angriffsentwurf den Kräftebedarf etwas niedriger an, nämlich

mit einer neuen Division nördlich, vier neuen Divisionen südlich der

Aisne; außerdem war natürlich eine erhebliche Zahl von Batterien usw.

erforderlich.

Das Mißlingen des Angriffs der 1. Inf.Div. bei Gruppe Borne

veranlaßte die O.H.L., nunmehr doch die Zurücknahme der 7. und des

äußersten rechten Flügels der 1. Armee in die ,,große Brückenkopf-

stellung" anzuordnen, die jetzt in der allgemeinen Linie Beugneux -- Fère-

en Tardenois -- Bois Meunière -- Romigny -- Bligny geführt werden

sollte. Die Bewegung war so vorzubereiten, daß sie in der Nacht vom

26./27. Juli erfolgen konnte. Für die Ausführung bei der 7. Armee setzte

Generaloberst v. B o e h n im einzelnen fest, daß die Gruppen Schoeler,

Wichura, Conta und Schmettow den Rückzug in der gleichen Nacht aus-

führen sollten; die Gruppe Winckler dagegen hatte zunächst nur ihren

linken Flügel auf das Nordufer des Ourcq zurückzunehmen, die Höhen

von Cugny aber noch zu halten. Demgemäß mußte auch der linke Flügel

der Gruppe Etzel noch stehenbleiben. Das Aufgeben der Butte Chal-

mont sowie das Zurückschwenken in die Linie Bois du Plessier -- Saponay

sollte erst auf besonderen Befehl erfolgen.

Nachdem der 26. Juli nur bei den Gruppen Wichura, Conta und

Schmettow stärkere feindliche Angriffe gebracht und das an diesem Tage

herrschende Regenwetter die Vorbereitungen für den Rückzug in die

,,große Brückenkopfstellung" außerordentlich begünstigt hatte, konnte

dieser in der Nacht vom 26./27. Juli planmäßig durchgeführt werden,

nachdem der endgültige Befehl dazu von der O.H.L. am 26. gegen

Mittag erlassen worden war. Die Höhen von Cugny (Butte Chalmont)

blieben, dem Befehl der 7. Armee entsprechend (s. o.), zunächst noch be-

setzt. Der Gegner bemerkte den Abmarsch erst spät, bis in die ersten

Nachmittagsstunden des 27. Juli hinein lag vielfach noch Artilleriefeuer

auf den geräumten Stellungen. Die zurückgelassenen Sicherungen, deren

M.G.Feuer dem Feind mehrfach erhebliche Verluste beibrachte, wichen

nachmittags kämpfend über den Ourcq bzw. bis zu der neuen Vorfeld-

grenze hin aus, an die sich gegen Abend schwächere feindliche Patrouillen

heranschoben.

Wie lange die ,,große Brückenkopfstellung" gehalten werden sollte,

stand zunächst noch nicht fest, im Grundsatz war jetzt aber auch die

Rückzug in die ,,große Brückenkopfstellung". 207

O.H.L. zum Ausweichen bis hinter Aisne und Vesle entschlossen. Aller-

dings ordnete General Ludendorff in seiner Stellungnahme zu dem

Angriffsentwurf der 9. Armee an, die Vorarbeiten zu dieser Unter-

nehmung unter Zugrundelegung des vom Heeresgruppenkommando be-

rechneten Kräftebedarfs (vgl. S.206) zum Abschluß zu führen. Ob der

Angriff tatsächlich durchgeführt werden könnte, würde von der Weiter-

entwicklung der Schlacht und dem Kräfteverbrauch abhängen. Im

übrigen aber besagte ein O.H.L. Befehl vom 27. Juli, daß ,,für die rück-

gängige Bewegung die Nacht vom 1./2. August in Aussicht zu nehmen

sei". Die Entscheidung blieb allerdings noch vorbehalten, der Beginn

sollte -- von der taktischen Lage abgesehen -- von den Räumungs-

arbeiten abhängen. Schon tags zuvor hatte die O.H.L. mitgeteilt, daß

,,nach Abschluß der im Gange befindlichen Schlacht eine Zurücknahme

der 9., 7. und 1. Armee hinter die Aisne und Vesle in Frage kommen"

könnte; Vorschläge für eine Dauerstellung sowie über ein abschnittweises

Zurückgehen dorthin sollten eingereicht werden.

Noch am 27. Juli gaben das Heeresgruppenkommando sowie die

A.O.Ks. 9, 7 und 1 die entsprechenden Befehle. Die Aisne -- Vesle-

Stellung wurde für die Folge als ,,Blücherstellung", die Ausweich-

bewegung dorthin als ,,Blücherbewegung" bezeichnet. Während die Rück-

führung des linken Flügels der 9. Armee hinter die Aisne in einem

Zuge zweckmäßig schien, wurde für die 7. und den rechten Flügel Der

1. Armee das Einschieben einer Zwischenstellung vorgesehen.

Die 7. Armee hatte bereits das am 24. Juli herausgezogene Gene-

ralkommando des XXIII. Res.K. mit dem Ausbau der Vesle-Stellung

von der Mündung der Vesle bis Jonchery beauftragt und ihm dazu

sechs abgekämpfte Divisionen zur Verfügung gestellt. Deren Aufgabe

wurde auf eine Arbeitszeit von sechs Tagen zugeschnitten. Der Vesle-

Abschnitt war mit allen Mitteln so zu befestigen, daß die zu seiner Ver-

teidigung bestimmten Truppen einen festen Halt fanden. Die vorgesehene

Zwischenstellung (s. o.) sollte dem von Westen und Süden nachdrängen-

den Gegner den Einblick in das Vesletal verwehren. Generaloberst

v. Boehn befahl den Gruppen Etzel, Schoeler, Wichura und Schmettow,

diese Stellung in der Linie Aisnebrücke südöstlich Missy -- Fe. de la

Folie -- Höhe 140 (1200 m südöstlich Jouaignes) -- Südrand des Bois du

Cochelet -- Curville -- Jonchery nach Maßgabe der vorhandenen Kräfte in

einfacher Form vorzubereiten (,,kleiner Brückenkopf" oder ,,Ziethen-

stellung").

208 Der Rückzug hinter die Vesle.

Die Bewegung selbst war vom Heeresgruppenkommando derart

vorgesehen, daß der ,,1. Blüchertag" = x-Tag mindestens zwei Tage

zuvor befohlen werden sollte. Im Laufe des x-Tages hatten der linke

Flügel der 9. Armee (Gruppe Staabs) die Blücherstellung bis Condé

(einschl.), die 7. Armee die Zwischenstellung (,,Ziethenstellung") von der

Aisne westlich Sermoise bis zur Höhe 233 (3 km südwestlich Jonchery),

der rechte Flügel der 1. Armee den östlich anschließenden Teil der

Zwischenstellung bis Courmont Min. sowie den Ostflügel der Blücher-

stellung mit Aufnahmetruppen zu besetzen. in der Nacht vom x- zum

x + 1-Tage sollte Gruppe Staabs unter Festhaltung von Soissons in

die Blücherstellung zurückgehen; von der 7. und dem rechten Flügel der

1. Armee waren am x + 1-Tag die Zwischenstellung stark besetzt zu

halten, die Aufnahmetruppen, soweit erforderlich, zu verstärken. Die

Masse der 7. und des rechten Flügels der 1. Armee hatte in der Nacht

vom x- zum x + 1-Tag unter Belassung von schwachen, beweglichen

Nachhuten durch die Zwischenstellung hindurch in die Blücherstellung zu

gehen. Die Räumung der Zwischenstellung sowie von Soissons schließlich

sollten in der Nacht vom x + 1- zum x + 2-Tag erfolgen.

(Von einer Wiedergabe der außerordentlich eingehenden Befehle für

den Ausbau der Blücherstellung sowie für den Abschub aller Art muß

aus Raumgründen Abstand genommen werden. Es war kein Zweifel,

daß das Gelingen der Blücherbewegung von der Bewältigung des Ver-

kehrs über die Vesle, die zwischen Vesle und Aisne gelegenen ,,Tafel-

berge", die Aisne und den Chemin des Dames ebensosehr abhängen

mußte, wie von den Kampfleistungen.)

in der Nacht vom 27./28. Juli erfolgte die Aufgabe der Höhen von

Cugny. Nach der hierdurch eingetretenen neuen Frontverkürzung schied

das Gruppenkommando Winckler aus, von den ihm unterstellten Trup-

pen rückte die stark abgekämpfte 33. Inf.Div. in die Etappe ab, die

übrigen wurden von den Gruppen Etzel und Schoeler mitübernommen.

Der 28. Juli brachte schwere Kämpfe. Schon im Laufe des Vor-

mittags stießen französische und amerikanische Divisionen in mächtigem

Schwung gegen die Südfront der 7. Armee, vor allem gegen die Gruppe

Wichura. Der Gegner drang in Seringes und Sergy ein, gelangte bis

an Cierges heran und konnte zeitweilig auch in der deutschen Haupt-

widerstandslinie Fuß fassen. Gegenstöße der bereitgestellten Reserven

warfen ihn aber wieder zurück; es gelang bis zum Abend, die Haupt-

widerstandslinie überall, das Vorfeld größtenteils wiederzugewinnen.

Inzwischen waren am Nachmittag auch gegen die Westfront sowie gegen

Schwere Kämpfe am 28. und 29. Juli. 209

die Gruppe Conta starke feindliche Angriffe erfolgt. Bei der Gruppe

Endres bildete das Dorf Buzancy den Brennpunkt des Kampfes. Es

wurde von der hier eingesetzten 15. brit. Inf.Div. erobert, gegen

Abend aber von Teilen der deutschen 5. Inf..- und 50. Res.Div. zurück-

gewonnen. Bei der Gruppe Etzel drückte der Feind von der Butte Chal-

mont aus gegen Grand Rozoy vor, Gegenstöße stellten die Lage wieder

her. Gruppe Conta verlor vorübergehend Teile des Meunière-Wa!des.

Für den 29. Juli wurde deutscherseits ein allgemeiner, starker An-

griff erwartet, da der Gegner inzwischen seinen neuen Artillerieauf-

marsch vollendet haben mußte. Tatsächlich begannen die feindlichen

Batterien schon vom frühen Morgen ab ihr Feuer mehr und mehr zu

steigern, gegen 6.00 vorm. erfolgte der Infanterieangrifff der sich aber

jetzt

nicht mehr gegen die Flanken des inzwischen stark abgeflachten Stel-

lungsbogens richtete, sondern auf einen frontalen Durchbruch hinstrebte.

Dichter Bodennebel, stellenweise durch künstliche Vernebelung gesteigert,

begünstigte den Gegner zunächst wesentlich. Bei der Gruppe Etzel kam

es vorübergehend zu einer Krise. Hier wurde die seit dem 19. Juli in

nahezu ununterbrochenem Kampf stehende, völlig abgekämpfte 51. Res.-

Div. bei Grand Rozoy überrannt und die deutsche H.W.L. zwischen der

Straße Hartennes -- Oulchy-le Château und Beugneux durchbrochen, der

Feind drohte über den Höhenzug Punkt 190 -- Punkt 205 vorzustoßen.

Gerade noch zur rechten Zeit traf ihn ein glänzend durchgeführter Gegen-

stoß der als Eingreifdivision bereitstehenden Garde-Ers.Div. in hartem,

bis zum Abend währendem Ringen konnte der feindliche Angriff auf-

gefangen und der größere Teil des verlorenen Geländes wiedergewonnen

werden. Bei den Gruppen Schoeler, Wichura, Conta und Schmettow

gingen Teile des Vorfeldes, darunter die Dörfer Seringes, Sergy und

Romigny, verloren, im übrigen aber wurde der Feind abgeschlagen. Auch

der rechte Flügel der 1. Armee konnte seine Stellungen im wesentlichen

behaupten, die Kämpfe dauerten hier bis in die Nacht hinein an. Alles in

allem war auch der 29. Juli wieder ein voller deutscher Abwehrerfolg.

Offenbar unter dem Eindruck dieses Erfolges tauchte bei der O.H.L.

die Erwägung auf, den Rückzug hinter Aisne und Vesle hinauszu-

schieben. General Ludendorff befahl, die Frage zu prüfen, ,,ob bei

zögerndem Folgen des Feindes ein längeres Halten der Zwischen-

stellung (,,Ziethen"- oder ,,kleine Brückenkopfstellung"!) möglich" sei;

die

Verteidigung der Blücherstellung müßte dabei allerdings gewährleistet

bleiben. Aber Kronprinz Wilhelm sprach sich auch diesmal wieder ener-

gisch gegen diese Verschiebung aus, wobei er im wesentlichen die gleichen

210 Der Rückzug hinter die Vesle.

Gründe anführte wie in seinem Brieftelegramm vom 24. Juli (vgl.

S.205). Ein Stehenbleiben in der Zwischenstellung glaubte er nur dann

befürworten zu können, wenn die Oberste Führung um den Preis des

Einsatzes starker Kräfte die feindlichen Reserven an der Front der

7. Armee fesseln wollte, um an anderer Stelle zu schlagen. Aber auch

dieses Fesseln werde nur dann gelingen, wenn die Armee, sobald der

Gegner los!ieße, selbst aus der Brückenkopfstellung heraus angreifen

würde. Eine derartige Operation könnte er indessen im Hinblick auf die

bedeutenden Schwierigkeiten eines Angriffsaufmarsches nicht vor-

schlagen.

Die O.H.L. befahl nunmehr am 30. Juli, daß die Blücherbewegung

planmäßig ausgeführt werden und in der Nacht vom 1./2. August be-

ginnen sollte. Auf eine erneute Anfrage, ob die Zwischenstellung länger

als einen Tag gehalten werden könnte, äußerten sich die A.O.Ks. 9

und 7 sowie das Heeresgruppenkommando verneinend.

Der 30. Juli brachte bei Grand Rozoy -- Beugneux sowie zwischen

Saponay und Seringes heftige Vorfeldkämpfe. Der Feind hatte hier

keinerlei Erfolge, seine Vorstöße wurden unter blutigen Verlusten für

ihn abgeschlagen. Gegen die Front der Gruppen Wichura und Conta

richteten sich starke Teilangriffe, hier gingen Teile des Vorfeldes ver-

loren. in der Nacht vom 30./31. Juli wurde die Front der Gruppe Etzel

abgeschrägt, die neue Linie verlief quer durch den Wald von St. Jean.

Die Gruppen Wichura und Conta nahmen ihre inneren Flügel in eine

vorbereitete Riegelstellung zurück. Am 31. Juli griff der Feind nur bei

den Gruppen Schoeler und Wichura an.

Bevor die Rückwärtsbewegung ihren Anfang nahm, sollte es in-

dessen erst noch zu einem letzten Großkampftag kommen. Am 1. August

schwoll das Feuer der feindlichen Artillerie schon am frühen Morgen zu

größter Stärke an, 5.45 vorm. schritt der Gegner, wieder im Schutz dichten

Morgennebels und starken Pulverqualms, zwischen der Chaussee Har-

tennes -- Oulchy-le Château und dem Bois Meunière hinter einer Feuer-

walze zum Angriff. Zahlreiche Tanks und Schlachtgeschwader suchten der

stürmenden Infanterie den Weg zu bahnen.

Bei der Gruppe Etzel traf der feindliche Stoß die Garde-Ers.-

und bayer. Ers.Div. Von der Höhe 206 (1 km nördlich Gr. Rozoy) aus durch-

stieß der Gegner unter dem Schutz seiner Panzerwagen die deutsche

Stellung, bald drang die französische Infanterie über Courdoux auf

Launoy vor. Einige südlich dieses Dorfes stehende Feldbatterien wurden

überrannt, verzweifelt wehrten sich im Rücken des Gegners noch die

Feindlicher Großangriff am 1. August. 211

deutschen M.G.Nester. Ihr tapferes Ausharren sollte nicht vergeblich

gewesen sein. Von Launoy und dem östlich des Dorfes gelegenen Wald

her traten die letzten Reserven der Garde-Ers.- und Teile der 18. Inf.-

Div. zum Gegenstoß an, die Batterien wurden zurückerobert, die M.G.-

Trupps befreit, der Gegner bis zur Höhe 190 (,,Orme du Gd. Rozoy

Sal.") zurückgeworfen. Der Erfolg war vor allem dadurch möglich ge-

worden, daß nördlich von Beugneux, auf Höhe 205, das 6. Garde-

Regt. unter seinem Kommandeur, Oberst v. L u ck, inmitten des

ringsum vordringenden Feindes heldenhaft allen Anstürmen standge-

halten hatte. Sechs Tanks lagen, im Nahkampf vernichtet, zwischen

seinen Linien. Auch die brave bayer. Ers.Div. konnte den Stoß des

Gegners etwa in Höhe des Weges Courdoux -- Servenay auffangen.

Von den beiden Divisionen der Gruppe Schoeler, 26. Inf., und 24.

Res.Div., wies die erstere den feindlichen Angriff vor ihrer Hauptwider-

standslinie ab. Ein Gegenstoß brachte den tapferen Württembergern

mehrere Gefangene und einige Maschinengewehre ein und ließ sie einen

Teil des Vorfeldes zurückgewinnen. Die Sachsen der 24. Res.Div. blieben

restlos im Besitz ihrer Stellung. Bei der Gruppe Wichura kam es zu

besonders schweren Kämpfen um die Reddy Fe. (2 km nördlich Cierges).

Nach anfänglichen Erfolgen konnte hier der Feind von der 216. Inf.Div.

wieder zurückgeworfen werden.

Trotz der schweren Kämpfe hatten sämtliche Truppen in den Nach-

mittag- und Abendstunden die Besetzung der ,,kleinen Brückenkopf-

stellung" mit Aufnahmetruppen durchführen können. Das Ziel des

feindlichen Angriffs, die Ausweichbewegung zu stören, war somit nicht

erreicht.

Tatsächlich konnte diese Bewegung nunmehr planmäßig durchgeführt

werden. Im Schutze der Dunkelheit gelang am späten Abend des

1. August die Loslösung vom Feinde überall -- auch bei der Gruppe

Etzel trotz der vorangegangenen schweren Abwehrkämpfe -- ohne

Schwierigkeiten, um 12.00 mitternachts trat die Infanterie aus der vor-

deren Kampflinie den Abmarsch an. Offizierpatrouillen mit leichten

Maschinengewehren und Leuchtmunition blieben während der Nacht in

den geräumten Stellungen zurück. Am Morgen des 2. August stand die

Gruppe Staabs abwehrbereit nördlich der Aisne zwischen Pasly und

Condé in der ,,Blücherstellung"*); Soissons wurde noch von Teilen der

211. Inf.Div. gehalten. Südlich der Vesle hatten die 7. Armee, bei

____________

*) in Front: Deutsche Jäg.-, 1. bayer. ins.- und 76. Res.Div.

212 Der Rückzug hinter die Vesle.

welcher das Gruppenkommando Conta ausschied, sowie der rechte

Flügel der 1. Armee mit insgesamt 13 Divisionen die ,,kleine Brücken-

kopfstellung" besetzt*). Jagdkommandos mit einzelnen Geschützen stan-

den weit vorgeschoben, aus der Stellung selbst waren Vorposten vor-

getrieben. Unter dem Schutze dieser Kräfte hatte sich der Vesle-Übergang

der übrigen Truppen reibungslos vollzogen**); nördlich des Flusses

begannen sich die zur Besetzung der ,,Blücherstellung" bestimmten Divi-

sionen zur Verteidigung einzurichten. Die geräumten Stellungen lagen

bis zum Morgen unter Artilleriefeuer. Als der Feind dann endlich den

deutschen Abmarsch bemerkte, kam das Antreten seiner Infanterie nur

sehr langsam in Gang; tastend suchten Patrouillen mit großer Vorsicht

vorzufühlen. Starker Regen strömte hernieder, er drohte die Sprengung

der Aisnebrücken in Soissons zu gefährden. Da andererseits auch jeder

Einblick in die eigenen Bewegungen unmöglich war, wurde die Räumung

von Soissons schon während der Mittagsstunden durchgeführt; 3.00 nachm.

hatten die Truppen unter Zurücklassung von Patrouillen an den feind-

wärts gelegenen Ortsrändern die Stadt verlassen, 3.30 nachm. wurden die

Brücken gesprengt.

In der ,,kleinen Brückenkopfstellung" selbst kam es zu keiner Ge-

fechtsberührung mit dem Feinde. Die Jagdkommandos verstanden es,

ihn äußerst geschickt aufzuhalten. Erst im Laufe des Nachmittags rückten

allmählich stärkere feindliche Kräfte. vor, nur stellenweise kamen sie in

Gefechtsberührung mit den Vorposten.

Nach Einbruch der Dunkelheit begann überall der Abmarsch in die

,,Blücherstellung". Wieder vollzog sich die Bewegung, insbesondere auch

der Vesle-Übergang, ohne Störung; südlich des Flusses blieben schwache

Nachhuten mit einzelnen Feldgeschützen zunächst stehen. Am Morgen des

3. August standen bei der 7. Armee, nachdem auch das Gruppen-

kommando Endres ausgeschieden war, abwehrbereit in der Blücher-

stellung:

Gruppe Etzel mit der 5. Inf.-, Garde-Ers.- und 18. Inf.Div.,

Gruppe Schoeler mit der 26. Inf.-, 24. Res.- und 17. Inf.Div.,

_____________

*) 7. Armee: Gr. Endres mit 20. Inf.- und 50. Res.Div., Gr. Etzel mit

9. und 10. ins.- sowie bayer. Ers.Div., Gr. Schoeler mit 87. und 17.

Inf.Div.,

Gr. Wichura mit 1. Garde- und 113. Inf.Div. und Gr. Schmettow mit 195. und

103. Inf.- sowie 28. Res.Div. 1. Armee: 199. Inf.Div. der Gruppe Borne.

**) Für die Schwierigkeiten der Rückzugsbewegungen und den Umfang der

erforderlichen Arbeiten ist bezeichnend, daß allein bei der Gruppe Endres

zwischen Condé (ausschl.) und la Grange Fe. über die Vesle insgesamt 24

Über-

gänge, davon 10 Kolonnenbrücken, hatten gebaut werden müssen.

Der Rückzug in die ,,Blücherstellung". 213

Gruppe Wichura mit der 4. Garde-, 216. und 29. Inf.Div.,

Gruppe Schmettow mit der 2. bayer. Inf.- und 28. Res.Div.

Hinter der Front sammelten sich die als Eingreifdivisionen bei den

Gruppen bestimmten 50. Res.-, 9. Inf.-, 10. Res.- und 103. Inf.Div., um

danach auf die zugewiesenen Bereitstellungsplätze zu rücken.

Die übrigen Divisionen der 7. Armee waren größtenteils in äußerst

anstrengendem Marsch auf den durch Regen völlig aufgeweichten Wegen

bis über den Chemin des Dames (bei Gruppe Schmettow bis über die

Straße Pontavert -- Guignicourt) zurückmarschiert, der Rest folgte am

Abend des 3. August.

Bei der 1. Armee hatte die Gruppe Borne den ihr zugewiesenen

Abschnitt der Blücherstellung bereits einige Tage zuvor mit der 50. und

86. Inf.Div. besetzt, als Eingreifdivisionen stellten sich die 8. bayer.

Res.-

und die 199. Inf.Div. bereit.

Der Feind drängte diesmal etwas schärfer nach, zu bedeutenderem

Kampf kam es jedoch nirgends.

Die Ausweichbewegung hinter Aisne und Vesle war damit in einer

über Erwarten glücklichen Weise gelungen, die 9. und 7. Armee waren

aus der außerordentlich schwierigen und gefahrvollen Lage, in die sie

der Entente-Angriff vom 18. Juli gebracht hatte, befreit. Die Opfer an

Menschen und Material, welche sie hierbei hatten bringen müssen, waren

überraschend gering; hatte sich doch die Zurücknahme der Front, nachdem

sie erst einmal beschlossen worden war, vollkommen planmäßig durch-

führen lassen, eine wesentliche Störung war dem Gegner nicht gelungen.

Aber auch die Gesamtverluste vom 18. Juli ab waren bei Berücksichtigung

der gewaltigen Ausmaße der Schlacht und verglichen mit den Ein-

bußen, die bei entsprechenden deutschen Angriffen der Gegner gehabt

hatte, keineswegs hoch*), wenn sie auch angesichts der gespannten und

sich ohnehin von Tag zu Tag verschlechternden Ersatzlage doppelt

schwer ins Gewicht fielen**). Jedenfalls bedeutete die Höhe der Ver-

luste keineswegs den bedenklichsten Faktor in der Rechnung, welche die

Oberste Heeresleitung über die Operationen vom 15. Juli ab aufzu-

stellen hatte. Viel schlimmer war die Erschütterung des Vertrauens auf

den Endsieg, welche die Ereignisse der letzten Wochen nicht nur bei den

Bundesgenossen, sondern auch in weiten Kreisen der Heimat und --

das wog wohl am schwersten -- der Truppe hervorgerufen hatten. Am

_______________

*) Bzgl. der Verluste an Gefangenen usw. siehe die Angaben aus S. 219.

**) Die O.H.L. mußte sich dazu entschließen, etwa zehn Divisionen auf-

zulösen und ihre Infanterie anderen zur Ersatzgestellung zuzuweisen.

214 Der Rückzug hinter die Vesle.

bedeutsamsten war aber schließlich, daß der Plan der Obersten Heeres-

leitung, den Krieg durch eine Folge eigener Angriffe zu einer für

Deutschland günstigen Entscheidung zu führen, als gescheitert angesehen

werden mußte. Der Gegner hatte die im März durch die deutsche Früh-

jahrsoffensive verlorene Freiheit des Handelns zurückgewonnen. Die

deutsche Front mußte jetzt überall auf Abwehr eingestellt werden, weitere

feindliche Stöße standen zu erwarten. Aber selbst wenn die Entente,

deren Verluste während der letzten Wochen zweifellos nicht geringer

gewesen waren als die deutschen, diese Stöße nicht führen sollte, mußte

die O.H.L. doch zum mindesten erst eine gründliche Auffrischung der

zerschlagenen Divisionen abwarten, ehe sie neue Entschließungen fassen

konnte.

Die Beurteilung der Lage, die General Ludendorsf am 2. August

den vier Heeresgruppen der Westfront übermittelte, lautete folgender-

maßen:

,,Die Lage verlangt, daß wir uns einerseits aus die Abwehr stellen,

andererseits so bald wie möglich wieder zum Angriff übergehen.

Nach dem starken Kräfteeinsatz der Entente zwischen Vesle und Marne

sind Großangriffe des Feindes an anderer Stelle in der nächsten Zeit um so

weniger zu erwarten, als er mit einem Gegenangriff rechnet. Die Fortsetzung

des Angriffs an der Vesle ist zunächst nicht unwahrscheinlich.

Spätere feindliche Großangriffe können sich naturgemäß gegen alle

Teile

unserer Front richten. Größere Wahrscheinlichkeit haben sie

1. am Kemmel und gegen den vorspringenden Bogen der 6. Armee,

2. gegen unsere Stellungen zwischen der Somme und Oise bis Soissons

hin,

3. gegen die Höhenstellung von Moronvillers,

4. gegen die Südfront der Armee-Abteilung C,

5. endlich gegen die Lothringersront und im Sundgau.

Während wir hier die Abwehr organisieren, bereiten wir gleichzeitig

den

Angriff vor. Hierfür würde in Betracht kommen

1. der Hagenangriff in kleiner Form,

2. der Angriff ,,Kurfürst" zu beiden Seiten der Oise etwa zwischen

Montdidier und Soissons,

3. vielleicht kleinere Angriffe östlich Reims auf das Fort Pompelle

und

bei Vauquois sowie bei Armee- Abteilung C,

4. Angriffe aus der Front der Heeresgruppe Herzog Albrecht in mehr

oder weniger Breite.

Bei den Angriffen, zumal westlich der Mosel, wird es weniger darauf

ankommen, weites Gelände zu erobern, als den Feind zu zerschlagen und

günstigere Stellungen zu gewinnen. Östlich der Mosel bleibt weiterer

Gelände-

gewinn zwar vorteilhaft, aber auch hier wird man sich mit weniger zu be-

gnügen haben.

Die Beurteilung der Lage durch die O.H.L. 215

Wir müssen an Überraschungsangriffen festhalten, andere kosten uns zu

viel Menschen. Auf schnelles Zusammenziehen der Angriffsmittel, Truppen

und Vereinfachung der Vorbereitung kann nicht genug Wert gelegt werden.

So kann es möglich werden, namentlich auf schmaleren Fronten, auch an

beliebigen Stellen gegen die Schwächen des Feindes wichtige Teilerfolge zu

erzielen.

Alle Angriffe sind nur als Abwehrmaßnahmen vorzubereiten. Von An-

griffen ist nicht zu sprechen.

Ich bitte um Stellungnahme.

I.A.

gez.Ludendorff."

* *

*

Der bisherige Verlauf der Schlacht veranlaßte General F o ch , am

23. Juli in die Führung einzugreifen. Die von den Deutschen ange-

wandte Taktik, die beiden Flanken des zur Marne vorspringenden

Stellungsbogens durch den Einsatz frischer Kräfte stark zu stützen, in

der Front aber das Vorrücken der Angreifer im wesentlichen durch

Nachhuten mit zahlreicher Artillerie und vor allem vielen Maschinen-

gewehren zu verzögern, schien ihm die Notwendigkeit zu ergeben, durch

zusammengeballte Stöße die beiden Flanken oder doch zum mindesten

eine von ihnen zu durchbrechen. Hierzu sah er den rechten Flügel der

10. Armee aus, welcher, unterstützt vom linken der 6., die rechte Flanke

der Deutschen angreifen sollte. ,,Hier sind alle Kräfte zusammenzuziehen,

um einen starken Angriff in der besonders wichtigen Richtung auf die

Gegend nördlich von Fére-en Tardenois zu führen. Die 5. Armee kann

danach nur über beschränkte Kräfte verfügen; Sie soll sie zum Angriff

von Fall zu Fall zusammenziehen, abwechselnd nördlich und südlich der

Ardre, und darf keinesfalls ihre Kräfte auf der ganzen Front verzetteln."

(Schreiben an Pétain am 23. Juli). Pétain traf sogleich die entsprechen-

den Anordnungen. Die Heeresgruppe ,,Reserve" erhielt Befehl, zwischen

dem Oberlauf des Crise-Baches und der Straße Longpont -- Fère-en

Tardenois (also 10. Armee) anzugreifen und diesen Angriff durch einen

Vorstoß südlich des Ourcq über Villeneuve-sur Fère (also 6. Armee) zu

decken. Als nächstes Ziel wurden die Höhen von Arcy-St. Restitute be-

zeichnet -- in der Weisung vom 20. waren die Höhen von Lesges an-

gegeben worden (vgl. 5.179) --, darüber hinaus blieb Bazoches als wei-

teres Ziel bestehen. Die Heeresgruppe ,,Mitte" wurde angewiesen, in der

allgemeinen Richtung auf Fismes -- wie bisher -- den Hauptstoß auf

dem rechten Ardre-Ufer gegen das Plateau von Germiny zu führen

(also 5. Armee), dessen Inbesitznahme die deutschen Stellungen in dieser

216 Der Rückzug hinter die Vesle.

Gegend zum Einsturz bringen mußte. Beide Heeresgruppen hatten sich

gegen deutsche Gegenstöße durch schärfste Aufmerksamkeit und durch

zahlreiche Handstreiche auf die an das Aisne -- Vesle-Schlachtfeld an-

grenzenden Frontteile zu sichern.

Die Durchführung dieser Umgruppierung gelang am 24. Juli noch

nicht, z. T. wohl auch infolge des Widerstandes, den der Führer der

10. Armee, General M a n g i n, dieser Anordnung entgegensetzte. Erst

als am 25. Juli der rechte Flügel der 10. Armee bei Oulchy-le Château

unerwartet große Fortschritte erzielte, durch welche auch der linke Flügel

der 6. Armee hart südlich des Ourcq mit vorgerissen wurde, kam es zu der

von Foch beabsichtigten Kräftekonzentration. Es war damit zu rechnen,

daß diese bei der 6. Armee am 27. Juli beendet werden konnte; bei

der 10. war das erst später möglich. Foch hatte Bedenken, daß seinen

auf einen gemeinsamen Stoß in Richtung Fère-en Tardenois hinzielen-

den Absichten von beiden Armeeführern noch immer nicht in genügendem

Umfange entgegengekommen würde. Übrigens sollte gleichzeitig mit

diesem Stoß auch ein neuer Angriff der 5. Armee stattfinden. Im Hin-

blick auf die in den letzten Tagen eingetretene Frontverkürzung war in-

zwischen am 25. Juli die 9. Armee wieder aufgelöst worden, ihre letzten

Truppen waren unter den Befehl des A.O.K. 5 getreten.

Das Ausweichen der Deutschen in der Nacht vom 26./27. Juli ließ

es indessen wieder nicht zur Ausführung des Fochschen Planes kommen.

Der 27. und 28. Juli brachten nur an der ganzen Front Teilkämpfe mit

dem Gegner, der sich nördlich des Ourcq wieder gestellt hatte. Die

6. Armee traf überall Vorbereitungen, den Fluß so bald als möglich zu

überschreiten, um zu verhindern, daß die Deutschen sich auf den Höhen

nördlich des Ourcq festsetzten.

in einem Schreiben an Pétain und Haig äußerte Foch die Ansicht,

daß ,,der Feind zweifellos hinter einem Fluß eine Verteidigungsstellung

einnehmen werde, welche die Alliierten nicht sogleich angreifen könnten,

und die ihm wahrscheinlich erlauben würde, seine Kräfte zu reorgani-

sieren und ihnen einige Zeit Ruhe zu geben". Haig wurde daher auf-

gefordert, die Vorbereitungen zu einer (bereits am 24. Juli in den

Grundzügen besprochenen) Offensive östlich von Amiens zu beschleunigen.

Er erhielt die baldige Rückkehr der in der französischen Front eingesetzten

britischen Divisionen in Aussicht gestellt.

Mit dieser Weisung begann tatsächlich ein neuer Abschnitt in den

Operationen der Entente. Diese sollten von jetzt ab mit dem Ziel einer

Abnutzung der materiellen und moralischen Hilfsquellen der Deutschen

Die Ereignisse auf der Feindseite. 217

geführt werden: War das geplante Ziel an einem Frontabschnitt erreicht

und hatte der Feind hier das Gleichgewicht wieder hergestellt, so sollten

sogleich neue Unternehmungen gegen andere Abschnitte einsetzen, an

denen der Gegner im Augenblick über keine Reserven verfügte.

Für die französischen Armeen südlich der Aisne und Vesle handelte

es sich zunächst nur noch darum, ihre Aufgabe zu beenden. Die Deutschen

schienen auf den Höhen südlich von Soissons sowie zwischen Ardre und

Vesle zu stark, als daß noch eine Hoffnung bestand, diese Eckpfeiler des

Widerstandes zu bezwingen und alle Kräfte südlich der Aisne zu ver-

nichten. Es handelte sich jetzt vielmehr darum, den Rückzug der Deut-

schen so zu beschleunigen, daß ihnen keine Zeit zu einer planmäßigen

Räumung sowie zur Zerstörung des Landes blieb, und daß die Marne-

talbahn baldmöglichst in Betrieb genommen werden konnte. Bei dieser

Operation fiel der 6. Armee die Hauptaufgabe zu: kräftiger, ununter-

brochener Vorstoß auf der ganzen Front in der allgemeinen Richtung

auf Bazoches-Fismes. Die 10. Armee hatte nach wie vor den Nach-

druck auf ihren rechten Flügel zu legen und mit dem Zentrum, dem

Fortschreiten des Angriffs entsprechend, die Höhen am linken Ufer der

Crise zu besetzen. Das Vorgehen der 5. Armee sollte vorzugsweise süd-

lich der Ardre in Richtung auf Romigny -- Lagery -- Crugny zur Unter-

stützung des rechten Flügels der 6. Armee erfolgen.

Während die 10. und 5. Armee einige Tage brauchten, um ihre Ver-

bände der neuen Weisung entsprechend zu ordnen und die erforderlichen

Ablösungen usw. vorzunehmen, setzte die 6. Armee bereits am 31. Juli

den Angriff fort. Die Deutschen schienen hier abermals ausweichen zu

wollen. Gefangene Offiziere sagten aus, daß die 7. deutsche Armee sich

nächstens auf eine ausgebaute Stellung zurückziehen würde; einer der

Gründe hierfür seien die Schwierigkeiten der Eisenbahn-Verbindungen.

Da aber nach anderen Gefangenenaussagen die Truppen Befehl hatten,

die Stellung am Orme du Grand Rozoy Sal. bis zum letzten Mann zu

halten, schien nur ein kurzes Ausweichen von den Höhen zwischen Fère

und Ville-en Tardenois in Frage zu kommen.

Der gemeinsame Angriff am 1. August brachte zunächst auf dem

rechten Flügel der 10. Armee gute Erfolge; es gelang auf dem Höhen-

zuge Orme du Grand Rozoy -- Servenay Fuß zu fassen. Weitere Ge-

winne ließen sich aber weder hier, noch an den übrigen Abschnitten der

Angriffsfront erzielen. Die französischen Flieger stießen auf sehr starke

deutsche Gegenwirkung. Sie beobachteten am Morgen das Aufflammen

218 Der Rückzug hinter die Vesle.

zahlreicher Brände in Fismes, Soissons, Loupeigne, Arcy-Ste. Restitute,

Branges und Lhuys. Am frühen Nachmittag hatten sie den Eindruck,

daß die Deutschen die Material und Proviant-Depots im Vesle-Tal

räumten.

Die Fortsetzung des Angriffs wurde für den nächsten Tag befohlen.

Bevor es aber dazu kam, begannen die Deutschen abermals abzubauen;

bald war auf der ganzen Front der franz. 10., 6. und des linken Flügels

der 5. Armee der Vormarsch im Gange. General Mangin drängte, die

Vesle unbedingt im Laufe der kommenden Nacht zu erreichen, um dem

deutschen Artilleriefeuer während des Marsches über die Höhen zu ent-

gehen und die Flußübergänge überraschend zu nehmen; die Divisions-

kommandeure sollten selbst mit einer genügenden Zahl berittener Offi-

ziere die Bewegungen der Truppen an der Spitze ihrer Gros leiten, um

den Vormarsch im Fluß zu halten und den nötigen Druck auszuüben.

Tatächlich wurden indessen die Aisne und Vesle von der 10. und

dem linken Flügel der 6. Armee zwischen Soissons und Fismes erst in den

Mittagstunden des 3. August erreicht. Dem rechten Flügel der 6. sowie

dem linken der 5. Armee war es auch bis zu dieser Zeit noch nicht ge-

lungen, ihre Gros bis an die Vesle vorzuschieben, da die deutsche Ar-

tillerie starkes Feuer auf die Höhen südlich der Linie Fismes -- Jonchery

-- Muizon legte. Von allen drei Armeen wurde eingehende Erkundungen

der Flußübergänge befohlen. Die 6. und 5. Armee planten, im Laufe

der kommenden Nacht kleinere Abteilungen und Vorhuten auf das Nord-

ufer der Aisne und Beste zu werfen. Von einem sofortigen Angriff

gegen die wahrscheinlich stark besetzten und kräftig verteidigten deutschen

Stellungen sah man zunächst ab.

Die Verluste der Entente während der Kämpfe in der zweiten Juli-

hälfte waren groß, sie betrugen*) in der Zeit vom 16. Juli bis zum

5. August (anscheinend o h n e die an der Schlacht beteiligten amerika-

nischen, britischen und italienischen Truppen) bei der

franz. 10. Armee 1177 Offiziere, 40028 Mann

,, 6. ,, 632 ,, 22 437 ,,

,, 9. ,, 59 ,, 2537 ,,

(nur bis 24. Juli)

,, 5. ,, 671 ,, 27 624 ,,

__________________________

2539Offiziere, 92 626 Mann,

________________

*) Nach einer Angabe des amtlichen französischen Kriegswerkes.

Angaben über Verluste und Beute der Entente. 219

Davon tot: 499 Offiziere, 11 542 Mann,

verw.:1870 " 68 396 ,,

verm.: 170 " 12 688 ,,

Als Beute der 10., 6., 9. (nur bis 24. Juli) und 5. Armee in der

Zelt vom 15. Juli bis 5. August gibt das französische Kriegswerk an:

581 Offiziere, 24 871 Mann (davon durch die 10. Armee

453 Offiziere, 17 590 Mann) an Gefangenen,

793 Geschütze (darunter 181 eigene zurückeroberte),

226 Minenwerfer (darunter 5 eigene zurückeroberte),

3723 Maschinengewehre (darunter 393 eigene zurückeroberte).

Davon entfallen auf die 10. Armee 586 Geschütze, 70 Minenwerfer,

1145 Maschinengewehre.

Betrachtungen

Wie hatte das Unglück vom 18. Juli geschehen

k ö n n e n ? Wie war es möglich gewesen, daß der Angriff der

franz. 10. und 6. Armee an diesem Tage solche Erfolge gehabt hatte?

Diese sehr naheliegenden Fragen haben schon unmittelbar nach den

Ereignissen selbst die Gemüter stark bewegt und zu zahlreichen Be-

richten, Rückfragen, erneuten Berichten und Stellungnahmen der ver-

schiedenen Kommandobehörden geführt. Diese Berichte ergeben in ihrer

Gesamtheit ein ziemlich klares Bild der Zusammenhänge, wenn auch die

Gründe psychologischer Art damals noch keineswegs so übersehen werden

konnten, wie es heute möglich ist.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der wesentlichste Grund

für den Erfolg des Gegners in dem restlosen Gelingen der von ihm er-

strebten Ü b e r r a s ch u n g liegt. Bei keiner deutschen Offensive des

Jahres 1918, an der Westfront überhaupt, ja, vielleicht während des

ganzen Krieges, ist der Feind derartig überrascht worden, wie es um-

gekehrt die Deutschen am 18. Juli wurden. Überrascht wurde die Truppe*),

überrascht wurden die mittleren und höheren Kommandostellen, über-

rascht wurde die Oberste Heeresleitung. Dies war weniger ein Erfolg

der an und für sich zweifellos sehr guten und zweckmäßigen Maßnahmen

der französischen Führung, als vielmehr eine Folge des Zusammen-

treffens zahlreicher für die Deutschen besonders unglücklicher Umstände.

Ihr wesentlichster war, daß man deutscherseits an der Angriffsfront bis

______________

*) Daß an einigen Stellen die Truppe unmittelbar vor dem Angriff durch

Überläufer von ihm Kenntnis erhielt oder selber entsprechende Wahrnehmungen

machte, ist in diesem Zusammenhang belanglos.

Völliges Gelingen der Überraschung am 18. Juli. 221

zum 15. Juli tatsächlich mit größter Bestimmtheit mit einer Offensive ge-

rechnet hatte*), dann aber, in der Überzeugung, daß der Gegner nun-

mehr durch den eigenen Stoß beiderseits Reims gebunden sei, die Ge-

fahr eines feindlichen Angriffs für völlig überwunden hielt. Es muß

offen zugegeben werden, daß hierin ein schwerer Fehler lag, der indessen

psychologisch durchaus verständlich ist, besonders wenn man die große

seelische Spannung berücksichtigt, in der sich Truppe und Stäbe bis zum

15. befunden hatten.

Von den übrigen Gründen, welche die Überraschung begünstigten,

sei hier lediglich auf das in diesem Umfange noch nicht bekannte Auf-

treten neuartiger Tanks eingegangen. Panzerkraftwagen waren an und

für sich keineswegs eine Neuerscheinung, auch ihr Einsatz in größeren

Mengen war seit der ,,Tankschlacht bei Cambrai" im November 1917**)

bereits bekannt. Immerhin aber hatte man ihr Auftreten in derartigen

Massen, wie es am 18. Juli der Fall war, noch nicht erlebt, die Abwehr

war daher auch nicht darauf eingestellt. Zudem setzten die Franzosen

hier zum ersten Male kleine, niedrige und schnellfahrende Tanks ein,

welche eine Maschinengewehrwirkung über das hochstehende Getreide

hinweg hatten, von den deutschen M.Gs. aber nur zu fassen waren, wenn

diese auf besonderen Auflagegestellen standen. Die Menge der vorwärts-

rollenden Sturmwagen hat auf den einzelnen Infanteristen vielfach ver-

wirrend gewirkt, er hielt sich den feuerspeienden, schnell beweglichen Un-

getümen gegenüber für verlassen und verlor die Nerven. Vielleicht hat

gerade die Tatsache, daß über Tanks und ihre Abwehr reichlich viel in-

struiert und geschrieben worden war, zu dieser stellenweise zutage treten-

den Panik nicht unerheblich beigetragen: die Panzerwagen wurden für

schlimmer und gefährlicher gehalten, als sie es tatsächlich waren. Jeden-

falls hat sich oftmals die gleiche Truppe, die am 18. Juli vom ,,Tank-

schrecken" erfaßt worden war, während der nächsten Tage ihrer energisch

zu erwehren gewußt.

Gibt somit allein schon das völlige Gelingen der Überraschung eine

weitgehende Erklärung für den Anfangserfolg des Gegners, so kommen

doch tatsächlich noch zahlreiche andere Gründe hinzu.

Ein Blick auf die Lagenkarte vom Morgen des 18. Juli läßt den

Eindruck entstehen, daß der Frontabschnitt zwischen Soissons und Châ-

______________

*) Mit einem Angriff derartigen Umfangs, wie er am 18. Juli

tatsächlich

stattfand, hat man allerdings auf deutscher Seite auch bis zum 15. Juli

nicht

gerechnet.

**) Vgl. Band 31 der Schriftfolge: ,,Die Tankschlacht bei Cambrai

1917".

222 Betrachtungen.

teau-Thierry auf deutscher Seite verhältnismäßig dicht besetzt sei. Daß

dies jedoch tatsächlich nicht der Fall war, und daß sowohl die in vor-

derer Linie eingesetzten wie auch die als Eingreifgruppe bestimmten

Divisionen größtenteils nur noch aus Trümmern bestanden, ist bereits

mehrfach erwähnt worden. Schon allein rein zahlenmäßig kam dies

zum Ausdruck. Die der O.H.L. gemeldeten Bataillons-Feldstärken (Stand

vom 11. Juli) der hier eingesetzten Divisionen schwanken zwischen 765

(241. Inf.Div.) und 456 (47. Res.Div.) Köpfen (ausschl. M.G.Komp.).

Wenn man berücksichtigt, daß die ständigen Abkommandierungen eines

Bataillons auch im günstigsten Fall nicht unter 250 Mann betrugen und

daß diese Zahl sich beim Einsatz in Stellung noch durch die erforderliche

Gestellung von Trägertrupps, Essenholern, Läufern usw. nicht unbe-

trächtlich erhöhte, so bleiben als tatsächliche Grabenstärken eines Ba-

taillons (ausschl. M.G.Komp.) im günstigsten Fall 200 bis 240 Gewehre

sowie 15 bis 20 leichte Maschinengewehre übrig. Meistens sind aber die

Stärken wesntlich niedriger gewesen. So hatte das Res.Inf.Regt. 53

eine Kompagnie-Grabenstärke von 42, das wegen starker Verluste bereits

zu nur zwei Bataillonen und einer Kompagnie formierte Res.Inf.Regt. 16

eine solche von 45 Mann. An anderen Stellen werden sogar Kompagnie-

stärken von nur 17 Mann gemeldet. Die 11. bayer. Inf.Div. gibt für

das Kampfbataillon des 22. Inf.Regts. Kompagnie-Stärken zwischen 9

und 31 Mann an; Frontbreite jeder Kompagnie: 350 m. Ähnlich waren

die Stärken des 3. Inf.Regts., etwas höher die des Res.Inf.Regts. 13.

Stellenweise mangelte es auch an Schützen für die leichten Maschinen-

gewehre, so konnten z. B. bei der 11. bayer. Inf.Div. nur drei l. M.G.

je Kompagnie bedient werden. Besonders schwerwiegend war auch der

Mangel an Unterführern, insbesondere Offizieren; bei dem wegen starker

Verluste bereits zu nur zwei Bataillonen formierten Res.Inf.Regt. 218

(47. Res.Div., aber bei der 14. Res.Div. eingesetzt) konnten nur noch vier

Kompagnien von Offizieren geführt werden, beide Bataillonsführer

waren Leutnants.

Trotz der verhältnismäßig großen Anzahl der zwischen Aisne und

Marne eingesetzten bzw. hinter der Front zum Eingreifen bereitstehen-

den Divisionen war daher rein ziffernmäßig die Zahl der Kämpfer außer-

ordentlich gering. Es ist bezeichnend, daß die Zahl der am 18. Juli

von der 10. und 6. franz. Armee gemachten unverwundeten und verwun-

deten Gefangenen nur 12000 beträgt (vgl. S.110/111). Dabei sind doch von

den meisten Kampf- und Bereitschafts-Bataillonen der an diesem Front-

abschnitt stehenden deutschen Divisionen nur einzelne Leute zurück-

Geringe Grabenstärken. - Überanstrengung der Truppe 223

gekommen und der Gefangenschaft entgangen; auch sind in der ange-

gebenen Zahl die Bedienungsmannschaften der in Feindeshand gefallenen

Batterien mitenhalten. Außer diesen in Gefangenschaft geratenen Leuten

können aber gar nicht allzuviel weitere Kämpfer an dem in Betracht

kommenden Abschnitt eingesetzt gewesen sein, denn die Verluste an Toten

sind für den 18. Juli Im allgemeinen nicht als besonders hoch an-

zunehmen.

Fast noch bedenklicher als diese numerische Schwäche war aber der

psychische Zustand der Truppe. Es ist an anderer Stelle (vgl. S. 32)

bereits darauf hingewiesen, daß nahezu sämtliche der in Front stehenden

bzw. als Eingreiftruppen bestimmten Divisionen völlig abgekämpft

waren, und zwar ging der Grad der Abgekämpftheit erheblich weiter, als

es im bisherigen Verlauf des Krieges selbst nach den schwersten Kampf-

Perioden erlebt worden war. Nicht nur die Mannschaften, sondern auch

der größte Teil der Führer war gänzlich abgestumpft. Die normalen

körperlichen Anstrengungen während eines übermäßig langen Einsatzes

hatten eine beträchtliche Verschärfung erfahren durch die außerordentlich

einförmige und auf die Dauer durchaus unzureichende Verpflegung*)

sowie durch das Auftreten der Grippe, welche schon vor, aber auch noch

nach der eigentlichen Krankenzeit die von ihr Betroffenen körperlich und

seelisch schwächte. Daß die Stimmung bei a ll e n Frontkämpfern nach

vier harten Kriegsjahren an und für sich schon ernst und die Nerven bis

zum äußersten gespannt waren, war selbstverständlich und sozusagen

normal; daß bei der zweifellosen Überanstrengung, der die Truppe hier

zwischen Aisne und Marne ausgesetzt gewesen war, die Stimmung viel-

fach u n t e r das Normalmaß gesunken, die Nerven ü b e r spannt waren,

konnte nicht Wunder nehmen. Selbst die beste deutsche Division besteht

nicht ausschließlich aus Helden, und selbst Heldentum hat bei normalen

Menschen eine Grenze. Daß eine derartig überanstrengte, körperlich und

seelisch völlig verbrauchte Truppe einem Überraschungsangriff eher unter-

liegen mußte als eine unverbrauchte, ist selbstverständlich. Andererseits

erscheint es aber doch in diesem Zusammenhang erforderlich, zu betonen,

daß der Grund für den Mißerfolg am 18. Juli keinesfalls ausschließlich

oder auch nur zum größten Teil auf ein Versagen der Nerven bzw. des

,,Geistes" der Truppe zurückzuführen ist. Das mag drei Wochen später,

am 8. August, dem ,,dies ater", stellenweise der Fall gewesen sein, am

18. Juli jedenfalls noch nicht. Sicher hat auch hier einmal an dieser oder

______________

*) Tatsächlich litt der Verpflegungsnachschub auch durch die übergroße

Be-

lastung der ungenügenden rückwärtigen Verbindungen.

224 Betrachtungen.

jener Stelle eine Kompagnie, ein Bataillon, ein Regiment versagt, hat sich

eine ganze Division schlecht geschlagen; solche ober zum mindesten ähn-

liche Fälle hat es aber auch schon vorher, man kann vielleicht sogar

sagen: in jeder großen Schlacht gegeben. Jedenfalls wäre es verfehlt,

hierin den Schlüssel für das Unglück des 18. Juli sehen zu wollen.

Selbstverständlich befanden sich die verantwortlichen Kommando-

stellen über den Zustand der Truppe nicht im Zweifel. Daß die Armee-

Oberkommandos 7 und 9, in erster Linie für die Verteidigung ihrer

Frontabschnitte verantwortlich, immer wieder die Zuführung neuer

Kräfte und die Ablösung der vollkommen ausgebrannten Divisionen

beantragten, ist geschildert worden. Tatsächlich waren aber weder die

Heeresgruppe Kronprinz Wilhelm noch auch die Oberste Heeresleitung in

der Lage, solchen Anträgen zu entsprechen, wenn der Krieg in der im

Frühjahr begonnenen und auch für weiterhin beabsichtigten angriffs-

weisen Form geführt werden sollte.

Es kann allerdings heute keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die

Möglichkeit, den Krieg durch eine Fortsetzung der eigenen Angriffe zu

einem für Deutschland günstigen Abschluß zu führen, zu dieser Zelt be-

reits tatsächlich nicht mehr bestand. Das beiderseitige Kräfteverhältnis,

das im Frühjahr zu Beginn der deutschen Offensive für die Deutschen

relativ günstig gewesen war, hatte sich inzwischen völlig zugunsten der

Entente verschoben. Die Zeit arbeitete jetzt ganz und gar für die Alli-

ierten, deren Stärke entsprechend dem Eintreffen und der sich von Tag

zu Tag steigernden Kampfbereitschaft der Amerikaner ständig wuchs. Auf

deutscher Seite aber war, ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, die Ver-

luste rein zahlenmäßig durch Einstellen von Neuersatz auszugleichen, die

körperliche und seelische Kraft der Truppe bereits so weit gesunken, daß

die Weiterentwicklung sehr bald von einer stetig abwärtsgleitenden Linie

in eine steil abfallende Kurve übergehen mußte. Der Bogen war in einer

verhängnisvollen Weise überspannt. Ob bzw. inwieweit es damals schon

möglich war, diese Lage zu erkennen, soll hier nicht erörtert werden.

Von großer Bedeutung für die Ereignisse des 18. Juli mußte

unter diesen Umständen die der Truppe befohlene Taktik der besonders

betonten und auf ein Höchstmaß gesteigerten Tiefengliederung werden,

für die sich im besonderen das Heeresgruppenkommandoim weitesten

Umfange eingesetzt hatte. Zweifellos war der Gedanke, das nahezu völlige

Fehlen ausgebauter Stellungen durch eine besondere Tiefe der Auf-

stellung auszugleichen, das feindliche Feuer durch Verteilung der Ver-

teidiger auf einen weiten Raum zu zersplittern und den nicht in ver-

Die Gefahren einer übergroßen Tiefengliederung. 225

zweigten Grabenanlagen und hinter starken Hindernissen abzuwehrenden

Stoß des Angreifers allmählich in den Falten eines vielmaschigen, tie-

fen Verteidigungsnetzes aufzufangen, ausgezeichnet und -- in der Theorie

-- richtig. Aber er rechnete nicht genügend mit dem Zustand der Truppe,

sowohl mit den geringen Stärken, als auch mit den verbrauchten Ner-

ven. Ein auf einen Quadratkilometer verteiltes ,,Bataillon" von 125 Ge-

wehren, etwa zwölf leichten und ebensoviel schweren Maschinengewehren

sowie einigen Minenwerfern war einfach gar nicht mehr vorhanden,

jedenfalls stellte es nicht mehr eine als bestimmter Faktor in Rechnung zu

stellende Kampfeinheit dar. Bei der durch die hohe Geländebewachsung

vielfach auf nur 20 bis 50 m beschränkten Sicht war es gar nicht möglich,

den zu verteidigenden Raum so mit Gewehr- und M.G.Feuer zu decken,

daß n i ch t breite Zwischenräume entstanden, in denen sich der Angreifer

unbeschossen vorwärtsbewegen konnte. Besonders verhängnisvoll wirkte

sich das tiefe Vorfeld aus. Während die Infanterie dort stellenweise zu

hartnäckigen Widerstand leistete und das Vorfeld deshalb nicht als

,,Puffer" wirken konnte, ist es an anderen Stellen einfach überrannt bzw.

von seiner Besatzung so schnell aufgegeben worden, daß die Kompagnien

in der Hauptwiderstandslinie, die ihrerseits mit längerem Widerstand

des Vorfeldes rechneten, vom Gegner völlig überrascht wurden. Sehr er-

schwerend wirkten die für die Vorfeldkämpfe gegebenen Weisungen für

die Tätigkeit der Artillerie. Die Unterscheidung zwischen ,,Sperrfeuer

weit" und ,,Sperrfeuer kurz" hatte bei den Schwierigkeiten der Beob-

achtung am 18. Juli in der Tat mehrfach zur Folge, daß beide Arten

des Sperrfeuers zu spät abgegeben wurden, d. h. als der Gegner schon

längst weiter vorgedrungen war. Vielfach entschlossen sich auch die

Batterien nur zögernd, ihr Sperrfeuer auf entsprechende Leuchtzeichen-

Anforderung hin vor die Hauptwiderstandslinie zurückzuziehen, da zwei-

fellos an vielen Stellen des Vorfeldes noch gekämpft wurde.

Das Heeresgruppenkommando selbst ist auch nach dem 18. Juli noch

von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der weitgehendsten Tiefen-

gliederung überzeugt gewesen. in seiner Stellungnahme zu einem Be-

richt der Gruppe Watter über die Ereignisse am 18. Juli kommt es zu

dem Schluß, daß der tiefe Einbruch des Feindes dort neben anderen

Gründen auf eine nicht genügende Durchführung seiner in dieser Hin-

sicht erlassenen Weisungen zurückzuführen sei. Auch die 78. Res.Div.

führt ihre Abwehrerfolge in der Schlacht zwischen Aisne und Marne

vornehmlich auf die in ihrem Abschnitt weitgehendst durchgeführte Tie-

fengliederung zurück. Dem stehen jedoch neben der auf S. 29 wieder-

226 Betrachtungen.

gegebenen Äußerung des A.O.K. 9 zahlreiche Ausführungen der beteilig-

ten Divisionen usw. gegenüber. Auch Generaloberst v. Boehn sah sich

veranlaßt, in einem am 21. Juli erlassenen Befehl für die Fortführung

der Kämpfe anzuordnen, daß bei schwachen Truppen und bei fehlender

Zeit zu sorgfältiger Einrichtung und Befehlsgebung von einem Vorfeld

ganz abgesehen oder doch nur in beschränktem Umfang Gebrauch ge-

macht werden sollte. Überall war ,,eine Linie zu bestimmen, die jeder

als diejenige kennt, um die bis aufs letzte gerungen werden muß". Die

Oberste Heeresleitung hob die Bestimmungen über das Vorfeld für die

Kämpfe der 7. und 1. Armee und auch für etwaige spätere Rückzugs-

kämpfe auf.

War aber eigentlich der Erfolg des Gegners am 18. Juli tatsächlich

so besonders groß?

Rein äußerlich, d. h. nach dem erzielten Raumgewinn, war er es

durchaus nicht. Die Tiefe des feindlichen Einbruchs betrug bis zu

9 km, d. h. -- trotz der völlig gelungenen Überraschung ! -- keines-

wegs mehr, als der durchschnittliche Anfangserfolg fast aller deutschen

Angriffe des Jahres 1918 betragen hatte. Wäre die Offensive an einem

anderen Frontabschnitt und unter einer anderen Gesamtlage erfolgt, so

würde ihr Ergebnis ohne weiteres als ein deutscher Abwehrerfolg an-

gesprochen werden können. Zu einem solchen ist die Schlacht zwischen

Soissons und Reims ja tatsächlich auch insofern geworden, als das Ziel

Fochs: Vernichtung der deutschen Streitkräfte in dem zur Marne vor-

springenden Bogen, n i ch t erreicht wurde. Seine besondere unheilvolle

Bedeutung hat der Erfolg der franz. 10. und 6. Armee aus zwei Gründen

bekommen: Einmal traf der Angriff die deutsche Front an einer besonders

ungünstigen Stelle, so daß er schon nach verhältnismäßig geringem

Bodengewinn die rückwärtigen Verbindungen der gesamten 7. Armee

gefährdete und damit zur Aufgabe nahezu des gesamten in der Mai/Juni-

Offensive eroberten Geländes zwang: ein in diesem Stadium des Krie-

ges ungeheuer schwer wiegender Verlust! Sodann aber erbrachte der

Gegenstoß aus den Wäldern von Villers-Cotterèts den Beweis, daß es

den Deutschen trotz ihrer gewaltigen Anstrengungen nicht gelungen war,

die feindlichen Reserven zu zerschlagen und dem Gegner auf die Dauer

das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. Tatsächlich hatte am 18. Juli

die Entente die Initiative an sich gerissen, um sie bis zum Kriegsende

nicht wieder abzugeben. Damit wurde der 18. Juli zur Schicksals-

wende des Krieges.

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